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Mels
07.12.2021
07.12.2021 08:55 Uhr

«Mels bedeutet für mich Heimat»

Prominenter Götti: Josef "Joe" Ackermann (Zweiter von rechts) mit der "Götti-Urkunde", welcher er von Franz Hidber (Verwaltungsrat "Verrucano", links), Reto Killias (Gemeinderat Mels, Zweiter von links) und dem Melser Gemeindepräsidenten Guido Fischer erhalten hat.
Prominenter Götti: Josef "Joe" Ackermann (Zweiter von rechts) mit der "Götti-Urkunde", welcher er von Franz Hidber (Verwaltungsrat "Verrucano", links), Reto Killias (Gemeinderat Mels, Zweiter von links) und dem Melser Gemeindepräsidenten Guido Fischer erhalten hat. Bild: Hans Bärtsch
Das Kultur- und Kongresshaus Verrucano in Mels erhält einen prominenten Götti: den einstigen Topbanker Josef (Joe) Ackermann.

Er ist der berühmteste Wirtschaftsvertreter, den das Sarganserland je hatte: Josef Ackermann, Jahrgang 1948, besser bekannt unter dem Spitznamen Joe. Aufgewachsen mit zwei Brüdern in Mels, absolvierte er an der Universität St. Gallen ein Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Seine Bankkarriere startete bei der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt (SKA), die 1993 nach
der Übernahme der Schweizerischen Volksbank (SVB) zur Credit Suisse wurde. 1996 wechselte Ackermann zur Deutschen Bank, die er bis 2012 leitete. Dazu hatte er diverse Verwaltungsratsmandate und -präsidien bei weltbekannten Unternehmen inne. Ackermanns Bild in der Öffentlichkeit als Manager ist, um Wikipedia zu zitieren, «wechselhaft». Ein kritischer Moment in seiner Karriere war etwa der Mannesmann-Prozess. 2009 ernannte ihn die Finanzpresse zum «European Banker of the Year». Seinen Herkunftsort hat er nie vergessen, wie er im folgenden Gespräch sagt.

Herr Ackermann, Sie werden der Götti des neuen Kultur- und Kongresshauses Verrucano. Wie ist es dazu gekommen?

JOE ACKERMANN: Ganz überraschend! Franz Hidber kontaktierte mich im Namen des «Verrucano»-Verwaltungsrates brieflich, dass man es sehr begrüssen würde, wenn ich diese Aufgabe übernehmen könnte. Ich habe ihm spontan signalisiert, dass ich das gerne mache. Franz Hidber ist ja der Sohn meines ersten Lehrers, damals in der 1. und 2. Klasse. Und seine Schwester führte lange Jahre das Labor in der Arztpraxis meines Vaters. Aufgrund dieser engen Beziehung mit den Hidbers musste ich nicht lange überlegen und sagte spontan Ja zu dieser Göttifunktion.

Hat auch der Ruf, der dem «Verrucano» vorauseilt, nämlich einen Saal mit hervorragender Akustik zu haben, Ihren Entscheid beeinflusst? Sie sind ja ebenfalls ein Musikliebhaber …

Nein. Ich möchte mich einfach engagieren in Mels, wo ich herkomme. Und wenn ich das «Verrucano» unterstützen kann mit meiner Person und meinen Beziehungen, freut mich das.

Was darf sich das «Verrucano» von Ihnen als Götti erhoffen?

Eine gute Frage, es hat mir noch gar niemand gesagt, was man von mir eigentlich erwartet (lacht). Aber natürlich habe ich mir dazu Gedanken gemacht. Ich hoffe, bei Bedarf mit Rat zur Verfügung stehen zu können. Etwa wenn es darum geht, bestimmte Musikerinnen und Musiker oder Orchester anzusprechen, zu denen ich Beziehungen habe. Dann ist mir natürlich bewusst, dass der Götti wie bei einer Taufe ein kleines Geschenk mitbringt. Das soll hier nicht anders sein. Aber es soll vorderhand eine Überraschung bleiben bis zum Galakonzert der Musikgesellschaft Konkordia am 8. Januar 2022.

Sie haben eingangs die Beziehungen zur Familie Hidber erwähnt – was verbindet Sie im Weiteren mit der Gemeinde, in der Sie aufgewachsen sind?

Ich habe verschiedene Verwandte, die mit ihren Familien hier leben. Ansonsten sind die Kontakte begrenzt. Ab und zu gehe ich mit meiner Familie an den Pizol Ski fahren, an den Chapfensee wandern oder aufs Schloss Sargans, das meine Grosseltern mütterlicherseits viele Jahre geführt haben. Was immer wieder passiert, ist, dass ich – irgendwo auf der Welt – von Melserinnen und Melsern angesprochen werde; das freut mich immer. Im Tessin, wo wir ein Haus haben, ist eine Nachbarin ebenfalls von Mels. So kommt es immer wieder zu Kontakten.

Womit sich bestätigt, dass die Welt klein ist … Wenn Sie an Ihre Kinder- und Jugendzeit zurückdenken: In welchen Quartieren von Mels waren Sie unterwegs?

Ich bin an der Stadtergasse aufgewachsen, als es dort noch keine Häuser gab, nur Wiesen. Wir haben Fussball gespielt, Speer geworfen. In der Pfadi war ich ebenfalls. Gut erinnere ich mich an den Kastels- und den Tiergartenhügel, wo wir Kinder oft unterwegs waren. Im späteren Alter waren wir dann an der Fasnacht in allen Melser Beizen unterwegs. Zusammen mit den Eltern erinnere ich mich an regelmässige Ausflüge ins «Waldheim». Schade, gibt es diese Lokalität nicht mehr. Nicht nur wegen dem guten Essen, sondern auch wegen der schönen Aussicht.

Stichwort Stadtergasse: Ihr Elternhaus ist Anfang Sommer abgebrochen worden, dort entsteht jetzt eine Überbauung. Schwang bei diesem Abbruch Wehmut mit?

Nachdem meine Mutter es so lange wie möglich bewohnt hatte, bevor sie ins Altersheim ging, stand das Haus leer. Es war zuletzt nicht mehr im besten Zustand, man hätte viel investieren müssen. Wir Geschwister haben es dann verkauft – im Bewusstsein, dass auf der Liegenschaft ein Mehrfamilienhaus entstehen würde. Natürlich ist so ein Verkaufsentscheid nicht ganz einfach – es war immerhin das Elternhaus. Unsere Mutter hat diesen Entscheid mitgetragen. Wir haben schöne Erinnerungen und viele Bilder von diesem Haus, als es, wie erwähnt, von Wiesen umgeben war und praktisch allein dort stand. Es war eine wunderschöne Zeit.

Sie sind dann beruflich ja weit weggegangen von Mels …

… was ich in einen Zusammenhang mit meinem Elternhaus bringen kann. Es stand ja nahe an der Eisenbahnlinie. Das gab ein gewisses Fernweh und liess einen träumen davon, auch einmal weit weggehen zu können und neue Sachen zu erleben.

Sie sind dann tatsächlich rund um die Welt gekommen in Ihrem Beruf als Banker. Hat das dazu geführt, dass Sie Heimat gesucht, einen Rückzugsort gebraucht haben, um sich zu erholen und die Batterien neu zu laden?

Die Leute fragen mich ja oft, was das Wichtigste sei für den Erfolg in einer Karriere. Meine Antwort lautet dann immer: Grundvertrauen. Dazu gehört die Sicherheit, irgendwo aufgehoben zu sein, eine Heimat zu haben. Das habe ich immer gepflegt. Als die Eltern noch lebten, war ich regelmässig zu Besuch bei ihnen. Als unsere Tochter klein war, kamen wir mit ihr auch oft nach Mels, um ihr den Ort auf Spaziergängen zu zeigen. Wir haben Aktivitäten in Mels und der Region unterstützt, das Alte Kino beispielsweise oder die Wiederansiedlung des Steinbocks im Weisstannental – im Verlangen, etwas zu tun für den Ort, an dem wir uns heimisch fühlten.

Wo fühlen Sie sich heute zu Hause, welches ist Ihre Heimat?

Heimat ist dort, wo man sich wohl fühlt, wo man einen Bezug zur Kultur und zur Sprache hat. Wo man erste Erfahrungen gemacht hat in der Schule, im Sport. Wo man sich zum ersten Mal verliebt hat. In diesem Sinne ist für mich Mels und Umgebung DIE Heimat. Wir haben in New York und London gelebt, an diesen Orten auch viele Kontakte gehabt, Freundschaften geschlossen und schöne Zeiten erlebt. Aber so richtig daheim sein und wohlfühlen geht nur dort, wo man schon als Kind alles miterlebt hat.

Im Turnverein waren Sie ja ebenfalls – und das recht erfolgreich.

Ich habe vor allem Leichtathletik betrieben, im Speerwerfen brachte ich es bis zum St. Galler Meister bei den Junioren. Dazu sind wir gerne Ski gefahren und haben überhaupt viel Aktivsport betrieben.

Das ganz grosse Scheinwerferlicht ist inzwischen nicht mehr auf Sie gerichtet. Vermissen Sie das?

Ich habe das Scheinwerferlicht nie gebraucht. Ich habe mich immer über andere Sachen legitimiert – nicht über eine Rolle oder Funktion. Es war ein bewusster Entscheid, mich ab 2012 sukzessive aus allen Funktionen zurückzuziehen. Verbunden mit dem Bewusstsein, dass das Scheinwerferlicht dann auch nicht mehr so hell leuchten wird. Wir suchten als Familie in den Ferien beispielsweise schon immer jene Orte auf, wo unser Freundeskreis ist. Und nicht, wo Schickimicki-Kreise verkehren. Meine Frau – eine Finnin – und ich schätzen es, jetzt das Privatleben geniessen zu können und keinem Erwartungsdruck der Öffentlichkeit mehr gerecht werden zu müssen. Aber natürlich werde ich immer noch erkannt und um Unterschriften oder Selfies gebeten.

Bei gewissen Vertretern aus der Wirtschaft oder auch Politik häufen sich die Verwaltungsratsmandate erst nach der Pensionierung. Sie hatten sie schon während Ihres aktiven Berufslebens inne. Und danach?

Es waren insgesamt 25 Verwaltungsratsmandate von sehr grossen Unternehmen wie Shell, Siemens oder Zurich. Mit gut 70 habe ich allesamt abgegeben. Wir – meine Frau und ich – hatten im Sinn, vermehrt auf Reisen zu gehen. Doch dann kam Corona dazwischen. Ende November ging es für drei Wochen nach Amerika. Ich habe in meiner Karriere tatsächlich schon viel gesehen von der Welt, aber immer nur Hotelzimmer, Büros, Flughäfen. Gerne würde ich zum Beispiel Japan, China oder Südamerika touristisch, vor allem aber kulturell erleben.

Haben Sie also gar keine Funktionen mehr inne, die sie heute ausüben?

Doch. Ich unterstütze diverse Start-ups in den USA, in Deutschland, in der Schweiz mit Rat und Tat. Es ist etwas Erfreuliches, wenn man Erfahrungen, die man gesammelt hat, weitergeben kann. Dazu kommen Vorträge, etwa an der Uni St. Gallen. Die Verwaltungsratsmandate vermisse ich dagegen nicht … Irgendwann hat man es gesehen, gewisse Themen wiederholen sich ja auch. Darauf hatte ich keine Lust mehr. Ich wollte stattdessen mehr Freiraum, unter anderem eben fürs Reisen. Und für die Pflege von Freundschaften.

Um den Kreis zu schliessen: Sie werden am Galakonzert der Konkordia als «Verrucano»-Götti eine Ansprache halten. Was haben Sie für einen Bezug zur Musikgesellschaft?

Wenn man in einem Dorf aufwächst, ist die Dorfmusik etwas ganz Wichtiges. Da wird in kirchlichem Rahmen (etwa an Prozessionen) gespielt, an weltlichen Festen, hohen Geburtstagen und so weiter. Was ich besonders geschätzt habe: Sowohl an der Beerdigung meines Vaters wie meiner Mutter spielte die Konkordia. In einem traurigen Moment dieses schöne Spiel zu hören, war wohltuend.

««Unser Elternhaus stand nahe an der Eisenbahnlinie. Das gab ein gewisses Fernweh und liess einen davon träumen, auch einmal weit weggehen zu können und neue Sachen zu erleben.»»
Joe Ackermann
von Hans Bärtsch (Sarganserländer)