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Bad Ragaz
22.01.2022

Mit Wegzoll gegen Hochwasser

Abbild der Vergangenheit aus dem Buch «Urkunden und Akten der Ortsgemeinde Bad Ragaz»: Noch heute wiederspiegeln die Gemeindegrenzen von Sargans, Mels, Vilters-Wangs und Bad Ragaz in der Rheinau die Vereinbarungen des 18. Jahrhunderts. 
Abbild der Vergangenheit aus dem Buch «Urkunden und Akten der Ortsgemeinde Bad Ragaz»: Noch heute wiederspiegeln die Gemeindegrenzen von Sargans, Mels, Vilters-Wangs und Bad Ragaz in der Rheinau die Vereinbarungen des 18. Jahrhunderts.  Bild: TP
Urkunden und Akten der Ortsgemeinde Bad Ragaz berichten aus dem Alltagsleben der Vorfahren.* (Reinhold Meier, Terra plana, März 2011)
«Terra plana» – die Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft Bild: Terra plana

Abos und Rückfragen an:
terraplana@sarganserlaender.ch

Die Ortsgemeinde Bad Ragaz hat eine Anthologie historischer Urkunden publiziert. Sie spiegeln bis heute wirkende wirtschaftliche und soziale Konflikte sowie deren Lösungen. Damit weisen sie weit über die lokale Bedeutung hinaus. Das Buch über die Urkunden der Bad Ragazer Ortsgemeinde trägt die Handschrift von Hans Jörg Widrig. «Die Zukunft liegt in den Archiven» erklärt der ehemalige bischöfliche Kanzler sein Credo. Als Archivar der Ortsgemeinde ist er diesem Leitsatz zweifellos gefolgt und macht nun federführend zahlreiche Dokumente der Ortsgemeinde aus den Jahren 1450 bis 1800 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. «Wer wissen will, wohin die Reise geht, muss wissen, wo er herkommt», betont er.

Um das Werk zu einem bibliophilen Ereignis zu machen, wurde der Walenstadter Historiker Paul Gubser beauftragt, das eggersche Urkundenbuch in heutige Schrift und Sprache zu übertragen. Dazu steuerte der Taminataler Künstler Lukas Bonderer lebendige Grafiken bei, welche die historischen Umstände ebenso pointiert aufspiessen wie feinsinnig illustrieren. Beigefügt sind zudem Fotografien ausgewählter Urkunden sowie ein Anhang mit Hintergrundinfos über Zeiten, Namen, Masse, Währungen und Gewichte.

Streit mit Nachbarn

Der Hauptteil des Buches zeigt eine Auswahl von 42 Urkunden, die Einblick in die einst entbehrungsreiche Entwicklung des südlichen Kantonsteils geben. Zwei Themen dominieren: die Wuhrpflichten am Rhein und die Rechte auf den Alpen. Denn an der Vorsorge gegen die Überschwemmungsgefahr sowie an fairen Sömmerungsregeln hing die Existenz der einstigen, wenig wohlhabenden Bauerndörfer.

Naturgemäss geht der – zuweilen recht emotionale – Blick dabei auch zu den Nachbarn. So datiert eine Übereinkunft aus dem Jahre 1491, die belegt, wie sich Mels, Vilters und Sargans nach heftigem Streit mit Ragaz über gemeinsame Wasserbauarbeiten auf eine neutrale Schiedskommission geeinigt haben. Diese hatte die Wuhrpflichten unparteiisch auf alle Beteiligten aufzuteilen, je nach Grösse der Güter, Auen und Anzahl Vieh. Das salomonische Motto lautete: Wer viel hat, muss auch viel tun. Die damals fixierten Markungsgrenzen im rheinnahen Riet gelten im Wesentlichen noch heute.

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Gegensätze ausgeglichen

Auseinandersetzungen gab es aber auch ennet des Rheins, mit den Maienfeldern, denen die Ragazer um 1700 vorwarfen, ihre Wuhren so anzulegen, dass der stark strömende Fluss «mit Gewalt» gegen Ragaz drücke: «Wir sind zu schwach, um uns mit Holz und Steinen dagegen zu wehren», lautete der Bescheid. Nahe Wälder seien abgeholzt, Transport von weiter her zu teuer, ebenso unbezahlbar wie Schwarzpulver zum Sprengen nötiger Steine, gaben die «sehr armen» Bad Ragazer zu verstehen. «Dem gewöhnlichen Bürger fällt es schwer, sich und die Seinen durchzubringen», lautete denn auch das zunächst wenig aussichtsreich klingende Fazit.

Unter Aufrechnung der Kosten weist man dann darauf hin, dass ein Rheineinbruch grösste Gefahren bis ins Glarnerland und nach Zürich bringen würde. Immerhin konnte man sich zuletzt doch noch einigen. Als Kompromiss handelte man ein Weggeldrecht aus – heute würde man es als modernes Road-Pricing bezeichnen – um die Infrastrukturkosten zu decken. Seitdem mussten die Bündner auf Ragazer Strassen einen Obolus zahlen.

Steuern damals kompliziert

Spannend auch die Vereinbarungen über Sömmerungsrechte, die immer wieder zu Ärger Anlass gaben, weil «fremde Rinder» auftauchten und den Einheimischen in Berg und Tal das Gras wegfrassen. So etwa 1559, als ein gewisser Hauptmann Brändli sein Vieh auf die Alp Wismerberg im Calfeisental getrieben hatte. Dabei hatte er, zum Unmut der Anwohner, die Herde zuvor bei St. Leonhard übernachten lassen, wo sie «freventlich» das wertvolle Gras der dortigen Allmend gefressen hatten. Die Ragazer forderten denn auch einen entsprechenden «Pfandschilling» als Schadenersatz.

Der Hauptmann hatte zwar angeboten, dass die Ansässigen die Kühe über Nacht melken und die Milch behalten dürften. Doch das reichte den Klägern nicht. Der Schiedsspruch hielt schliesslich fest, dass der Hauptmann mit Herde und Hirten wohl auf der Allmend übernachten darf, aber Sorge zu tragen hat, dass niemand «durch die Zäune bricht». Die Milch durften die Hirten selbst behalten, für die Übernachtung seien aber 15 Batzen zu zahlen. Eine feinfühlige Illustration zeigt die nächtliche Melkaktion bei St. Leonhard.

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Von Nachtwächtern und Fasnachtshühnern

Ferner finden sich hintergründige Anweisungen zum Loskauf von Fasnachtshühnern sowie über Rechte und Pflichten der Nachtwächter. Sie geben am Rande Einblick in die historischen Steuersysteme, welche den heutigen in Komplexität offenbar kaum nachstanden. Denn alternativ zum Fasnachtshuhn konnte der Steuerbürger auch 15 Gulden hinterlegen. Die Nachtwächter hingegen erhielten als Lohn die Befreiung von der Wuhrpflicht und hatten ferner quartalsweise von jedem Hausbesitzer einen Batzen sowie vom Fürstabt einen Gulden zugut.

Mit der Befreiungsurkunde der acht alten Orte und dem Freiheitsbrief des Klosters Pfäfers endet die historische Textsammlung standesgemäss. Beide sind denn auch als Faksimile abgedruckt. «Es ist Aufgabe der Ortsgemeinden, kulturelle Leistungen für die Öffentlichkeit zu erbringen», hält Widrig als Fazit der mehrjährigen Arbeit fest. Er weist darauf hin, dass manche nördlicher gelegene Ortsgemeinde diesem Anspruch zuweilen nur ungenügend nachkomme. Bad Ragaz hat für das Projekt 60000 Franken an die Hand genommen und wird darin auch vom Kanton via «Südkultur» unterstützt.

Das Buch «Urkunden und Akten der Ortsgemeinde Bad Ragaz, 1450 bis 1800» ist nach wie vor erhältlich im Buchladen am Bartholoméplatz.

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1712: Plan einer neuen Strasse und eines Wuhrabschnittes am Schollberg

Man erachtet es allgemein als Landesnutzen, wenn man die Landstrasse, die heute über den Schollberg führt, unten im Tal dem Rhein nach anlegen würde. Das ist aber nur möglich, wenn man vom untersten Kopf des Sarganser Wuhres bis gegen die Wuhrmarch der Wartauer und der Balzerser, welche unter der kleinen Hochwand am Rhein in einen Stein gehauen ist, ein neues, wehrhaftes Wuhr erstellt. 

Wenn die an der Unteren Au beteiligten Gemeinden dieses Wuhr erstellen, wächst ihnen ein grosser Nutzen zu, weil dadurch die Au um viele Tausend Klafter Nutzland erweitert wird. Dadurch wird der Bau einer neuen Strasse viel leichter gemacht. Darum sollen sich die beteiligten Gemeinden erklären, ob sie dieses Wuhr mit einem gemeinsamen Werk an die Hand nehmen wollen, oder aber ob eine oder zwei Gemeinden das allein ausführen wollen. 

Dann müssen die Gemeinden aber das Neuland auf dem Rheinsand und in der Rheinrunse und dessen Nutzung jenen Gemeinden überlassen, welche dieses Land durch ihre Arbeit gewonnen haben. Wenn weder alle Gemeinden noch die eine oder andere von ihnen diese Wuhrarbeiten übernehmen wollen, aber einige Personen im Land gefunden werden können, die es wagen, dieses Werk auf eigene Kosten mit
irgendwelcher Hilfe auszuführen und zu erhalten, müssen die an der Au beteiligten Gemeinden diesen Personen jenen Anteil am Rheinsand und an der Rheinrunse abtreten (cedieren) und überlassen, den sie durch ihre Arbeit befreit und gewonnen haben. 

Dann können meine gnädigen Herren und Oberen die neue Schollbergstrasse nach ihrem Gutdünken so anlegen und bauen, dass es dem ganzen Land zum Guten und zu grossem Nutzen gereicht. 

Die Gemeinden sollten zu diesem Werk bereit sein. Sie müssten sonst nach der Meinung des Herrn Landvogtes Johann Franz Landtwing von Zug (1711–1712) und seiner Amtsleute jedem Arbeiter oder Gemeindegenossen, die diese Arbeiten auf sich nehmen werden, in der nächstgelegenen Au so viel Land übergeben, als diese im Rheinsand und in der Runse gewonnen haben, und zwar solange das neu gewonnene Land keine Frucht tragen wird. 

Der Herr Landvogt hat dem Herrn Landammann Good befohlen, dass er den Inhalt dieses Briefes unverzüglich der Gemeinde Mels vorlesen und erklären soll. Dann muss er darüber abstimmen lassen und das Ergebnis dem Herrn Landvogt sofort mitteilen. (rem)

 

Gegeben, Dienstag, den 12. Januar 1712, Kanzlei Mels

« Dieser Beitrag stammt aus der Märzausgabe 2011 der ‘Terra plana’.»
Reinhold Meier/sardona24