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05.02.2022

Die Sonnenuhr als Zeitmesser und Mahner

Beliebte Sonnenuhr-Weisheit: «Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heitern Stunden nur». 
Beliebte Sonnenuhr-Weisheit: «Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heitern Stunden nur».  Bild: TP
in Gang durch die Region zeigt verschiedene Sonnenuhren, die als Zeitmesser dienen, die auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweisen – oder schlicht als Schmuckelement dienen. (Karin Heiz, Terra plana, Juniausgabe 2007)
«Terra plana» – die Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft Bild: Terra plana

Schon von weitem sieht man die Sonnenuhr am Schloss Werdenberg. Mit ihrem breiten blauen Band hebt sie sich von der weissen Fassade ab. Die arabischen Ziffern lassen sich jedoch erst aus der Nähe erkennen; sie reihen sich auf einem gelben Band aneinander. Den Anfang macht die Ziffer fünf, den Abschluss die vierzehn. Später am Nachmittag liegt die Südfassade im Schatten, doch dafür scheint die Sonne auf die Westfassade. Daher malte Eugen Müller aus Flawil dort die Fortsetzung.

Diese Sonnenuhr entstand im Jahr 1978 im Rahmen der Aussenrenovation. Schlösser mit Sonnenuhren zu schmücken, kam bereits im 17. Jahrhundert in Mode. Die grossen Flächen boten sich förmlich an, verziert zu werden. Damit wandelte sich der ursprünglich schmucklose Zeitmesser zu einem Schmuckelement. Man ergänzte die Zeitangaben mit figürlichen Darstellungen, dekorativen Malereien und Sinnsprüchen.

Sonnenuhren als Schmuckelemente brachte man auch an den Fassaden der Rathäuser in Grabs und Sevelen an. In Grabs füllt sie seit 1938 die Fläche zwischen dem zweiten und dem dritten Obergeschoss. Wie in Werdenberg bildet sie mit ihrem blauen Untergrund einen starken Kontrast zur weissen Fassade. Bei Sonnenschein leuchten zudem oben eine Sonne und unten in beiden Ecken je ein Stern. Sie sind seit der Renovation im Jahr 1999 mit 23.75 Karat Gold überzogen. Der Mitte der Sonne entspringt ein schmuckloser Zeigestab aus Eisen. Sein Schatten zeigt auf einem -u-förmigen grauen Band zwischen 7.30 und 17.30 Uhr die Zeit an.

Hinweise auf die Vergänglichkeit des Lebens

Nur bis 15 Uhr lässt sich am Rathaus in Sevelen die Zeit ablesen. Auch hier wirft ein schmuckloser Eisenstab seinen Schatten auf die Zeitangaben entlang eines grauen Bandes. Im Gegensatz zu Grabs scheint die Zeitangabe jedoch eine untergeordnete Rolle zu spielen, denn ein Kreis mit einer Sonne im Zentrum dominiert die Fassade. Gemalte Sonnenstrahlen teilen die Fläche in zwölf Sektoren auf. In jedem dieser Sektoren findet sich die Darstellung eines Sternzeichens. Ergänzt wird der grosse Kreis durch zwei kleine. Die Fläche des einen füllt ein Stern. An den Rand des andern schmiegt sich der Mond, der mit gerunzelter Stirn zur Sonne hochsieht. Die ignoriert ihn aber und richtet ihren Blick in die Ferne. Auch der Betrachter der Sonnenuhr wird angeleitet, den Blick von dem zu lösen, was ihn unmittelbar umgibt. Denn ein Spruch ergänzt die Zeitangaben auf dem Band: «Eine von diesen wird auch die deine sein.» Damit erfüllt diese Sonnenuhr drei Funktionen: Zeitmessung, Schmuck und Belehrung.

Für eine bildhafte Umsetzung der Vergänglichkeit des Lebens entschied man sich auch an der Bahnhofstrasse in Bad Ragaz. Links oben sieht man einen Knaben mit einem Lendenschurz, der einem Schmetterling nachschaut. Unterhalb von ihm steht ein stämmiger Mann mit breiten Schultern. Er hat hochgekrempelte Hemdsärmel und umfasst mit beiden Händen eine Axt. Neben ihm sitzt ein betagter Mann gekrümmt auf einem Stein. Er hat die Beine übereinander geschlagen. Seinen Kopf stützt er in der linken Hand. In der rechten Hand hält er einen Stab. Die Besitzerin Maria Pfeiffer vermutet, dass das Bild um 1944 gemalt wurde.

Am Sprecherhaus in Maienfeld weisen gleich zwei Sprüche auf die Endlichkeit des Lebens hin: «Hora ruit, ultima latet» (Die Stunden verrinnen, die letzte ist ungewiss) und «Meine Zeit stehet in Deinen Händen». Früher wählte man meist Sprüche mit moralisch-religiösem Inhalt. Die mit 1721 datierte Uhr zeigt dies deutlich. Ob es am Sprecherhaus vor dem Brand der Stadt im Jahre 1720 schon eine Sonnenuhr hatte, ist nicht dokumentiert. Der heutige Besitzer des Hauses weiss auch nicht, warum die Uhr direkt unterhalb des Daches angebracht wurde. Schutz vor der Witterung oder vor Vandalismus könnten Gründe sein. Vielleicht wollte man sie auch von weit her sichtbar machen.

Ermahnung und Schmuck: Die Sonnenuhr an der Ringstrasse in Mels dient lediglich zur Zierde. Bild: TP

«Zähl die heitern Stunden nur»

Vereinzelt finden sich Sprüche mit religiösem Inhalt auch an neueren Sonnenuhren. So heisst es am Bahnweg in Sargans: «In Gottes Hand steht unsere Zeit», während man an der Zürcherstrasse aufgefordert wird, die Zeit zu nutzen. Diesen Spruch wählte auch der Architekt Dehm aus Bad Ragaz für eine Sonnenuhr am Vorderwinkel in Maienfeld. «Nütze die Zeit, ehe sie entflieht», wird der Betrachter aufgefordert. Dehm schenkte der Bauherrschaft diese Sonnenuhr als Dank für den Auftrag, das Haus neu zu bauen. Die Ausführung besorgte der Maler Paul Walter Adam im Jahr 1944.

«Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heitern Stunden nur», gehört zu den häufigsten Sprüchen. Man findet ihn zum Beispiel am Turmhaus in Malans. Auch Johann Aggeler suchte ihn für eine Sonnenuhr an der Ringstrasse in Mels aus. Unter dem Zeigestab malte er eine Sonne mit einem lachenden Gesicht. Darüber erheben sich Bogen in blauer Farbe. Ebenfalls einen Bogen bildet ein Band unter der Sonne, auf dem in römischen Zahlen die Stunden angegeben sind. Müsste man sich nach dieser Sonnenuhr richten, wüsste man nur zwischen mittags zwölf Uhr und abends sechs Uhr, wie spät es ist. Denn nur während dieser Zeit scheint die Sonne auf die Westfassade des Hauses von Hans John. Doch das stört ihn nicht. Er wollte von Anfang an lediglich eine Sonnenuhr zur Zierde haben. Daher liess er auch den Zeigestab nie richten.

Eine Sonnenuhr nur zur Zierde hätte sich bestimmt auch der gefrässige Nichtstuer gewünscht, der in der Komödie «Boetia» des römischen Dichters Plautus alle Sonnenuhren in Rom verflucht: Einst sei es der Magen gewesen, der ihm die Essenszeiten anzeigte. Jetzt müsse er sich nach den Sonnenuhren richten und oft lange warten, klagt er.

Der Bau zahlreicher Sonnenuhren in Rom fiel in die Zeit um 160 vor Christus. Damals liessen sich vornehme Römer diese Errungenschaft der Zeitmesskunst in ihren Gärten aufstellen. Von China weiss man, dass bereits Mitte des 3. Jahrtausends vor Christus die Wächter auf der Grundlage von Sonnenuhren die Zeit ausriefen.

Tisch- und Reisesonnenuhren inklusive Kompass

In Europa sorgten vor allem die Benediktiner für die Verbreitung der Sonnenuhr. Sie bauten zahlreiche Klöster, in denen feste Gebets- und Gottesdienstzeiten eingehalten wurden. Das war nur möglich, indem man an den Kirchen und Klöstern einfache Zeitanzeiger anbrachte. Bis um 1450 kannte man den waagrechten Zeigestab. Dieser hatte den Nachteil, dass man während des Jahres immer wieder die Stunden neu einteilen musste. Der senkrechte Zeigestab brachte da eine entscheidende Verbesserung. Er bildet mit der Horizontalebene einen Winkel, welcher der geografischen Breite des Ortes entspricht. Damit verläuft der Schatten genau auf den Stundenlinien und wird nicht vom Jahresverlauf beeinflusst. Dank dieser ganzjährigen Zeitanzeige verbreitete sich die Sonnenuhr mit dem senkrechten Zeigestab sehr schnell.

Ihren Höhepunkt erreichte sie im 16. Jahrhundert. Zu dieser Zeit gab es an manchen Universitäten Vorlesungen zum Thema Sonnenuhren. Neben ortsfesten Sonnenuhren kannte man bewegliche Tisch- und Reisesonnenuhren. Damit sie funktionierten, musste man sie mit einem Kompass versehen. Daher befasste sich der achtbare Berufsstand der Kompassmacher mit ihrer Herstellung. Sie erlaubten eine so genaue Zeitangabe, dass man mit ihrer Hilfe sogar die Räderuhren in Kirchtürmen richtete. Denn diese wiesen Ungenauigkeiten von bis zu zwanzig Minuten pro Tag auf.

Dekorative Funktion im Vordergrund

Von da an fand man vermehrt Sonnenuhren an Rat- und Bürgerhäusern. Dort dienten sie neben der Zeitanzeige auch als Schmuck. Diese dekorative Funktion steht seit dem Ende der Blütezeit um 1800 im Vordergrund. Das kann sogar so weit führen, dass der Zeigestab auf die Fassade gemalt ist. Damit verliert die Sonnenuhr ihre primäre Bedeutung. Ein Beispiel dafür findet sich an einem Haus neben dem Restaurant Schiffahrt in Mols. Der gemalte Zeigestab zeigt auf halb elf Uhr. Auch die Sonnenuhr an der Hintergasse in Malans funktioniert nicht. Die Besitzer entschieden sich aus rein zweckdienlichen Gründen für eine geschmiedete Sonnenuhr. Denn diese lässt sich bei einer Renovation des Hauses einfach abschrauben.

Bewusste Farbwahl: Cécile Lieberherr kombinierte Zeit­angaben und Sternzeichen für ihre Sonnenuhr am Kublihaus in Quinten. Bild: TP

Spezielle Sonnenuhr in Quinten – eine Kombination

Diese Möglichkeit bleibt Cécile und Toni Lieberherr vom Kublihaus in Quinten nicht. Sie liessen ihre Sonnenuhr auf die Südfassade malen. Vor der Renovation im Jahr 1999 konnte man keine Zeitangaben mehr erkennen. Auch die Malerei, die um die Sonnenuhr herum ein Portal vortäuschen sollte, war an den meisten Stellen völlig verwittert. Nur der Zeigestab hatte überlebt. Die Denkmalpflege schlug vor, lediglich Striche für die Zeitangaben anzubringen. Das kam für Cécile Lieberherr jedoch nicht in Frage. Für sie gehören Zierelemente zu einer Sonnenuhr. Sie liess sich von anderen Sonnenuhren inspirieren und entschied sich für ein Band, auf dem die Zahlen angeordnet sind. Da sie eine leidenschaftliche Astrologin ist, kombinierte sie diese mit den Sternzeichen. Dank einer bewussten Farbenwahl konnte sie ein Chaos vermeiden. Die schwarzen Zeitangaben heben sich viel stärker vom Hintergrund ab als die weissen Sternzeichen. So erfüllt die Sonnenuhr ihre primäre Funktion. Damit die Uhr auch wirklich stimmt, zog sie am 21. Juni 2001 jede Viertelstunde einen Strich entlang dem Schattenwurf des Zeigestabes. Anhand dieser Striche konnte sie anschliessend die Position zu jeder vollen Stunde festlegen.

Auf die Minute genau

Für eine Kombination aus Zeitangaben und Sternzeichen entschieden sich auch die Besitzer der Sonnenuhr am Plattastutzweg in Fontnas. Das Zentrum der Uhr bildet ein Rechteck in hellen Brauntönen, von dem sich die weiss gemalten Sternzeichen abheben. Die Zeit kann man anhand der Zahlen in einem weissen Band rundherum ablesen. Gemalt hat die Uhr Leo Gansner aus Fanas. Für die genaue Festlegung des Zeigestabes konnten sich die Besitzer nicht wie früher üblich an einen Kompassmacher wenden. Diese Aufgabe übernahm der Geometer Arthur Clement aus Tamins. Eine Tafel beim Haus zeigt für Anfang, Mitte und Ende jedes Monates auf, wie viele Minuten die Uhr von der Mitteleuropäischen Zeit abweicht. Die grösste Differenz ergibt sich Ende Oktober und Anfang November. Dann geht die Sonnenuhr gegenüber der MEZ 16 Minuten vor. Auf die Minute genau stimmt sie Mitte April und Mitte Juni.

Richten sich die Werdenberger nach der Sonnenuhr am Schloss, haben sie keine Chance, pünktlich zu sein. Die Uhr stimmt um bis zu zweieinhalb Stunden nicht, wie der Schlossverwalter Karl Blaas feststellte. Mehr Verlass bietet die Sonnenuhr am alten Schulhaus. Der Kanton St. Gallen schenkte sie dem Städtchen zum 700-Jahr-Jubiläum. Doch auch dort lässt sich nur bis 14 Uhr die Zeit ablesen, vorausgesetzt, die Sonne scheint.

Sprecherhaus in Maienfeld: Es mahnen gleich zwei Sprüche den Betrachter. Bild: TP
Bild: TP
«Dieser Beitrag stammt aus der Juniausgabe 2007 der ‘Terra plana’.»
Karin Heiz