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02.04.2022

Alte landwirtschaftliche Gebäude erzählen

Blick zurück: Die Mädriser Ziegen wurden in diesen Ställen auf Geissäugsten gemolken.
Blick zurück: Die Mädriser Ziegen wurden in diesen Ställen auf Geissäugsten gemolken. Bild: Karin Heiz
Eine Spurensuche, bevor die Gebäude langsam, aber sicher aus unserer Landschaft verschwinden.* (Karin Heiz, Terra plana, Juni 2016)
«Terra plana» – die Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft Bild: Terra plana
Murg: Die Konstruktionsweise von Kalthüttli wie diesem führt Jahrhunderte zurück. Bild: TP

Noch geben alte, landwirtschaftlich genutzte Gebäude wie Ziegenställe oder Kalthüttli einen Einblick in die Arbeits- und Lebensweise vergangener Zeiten. Doch sie haben ausgedient und viele zerfallen daher. Einige sind gar schon verschwunden und mit ihnen die Spuren früherer landwirtschaftlicher Nutzung.

Melser hatten es komfortabel

Jeden Morgen fuhr der Ziegenvogt mit dem Velo durchs Dorf und blies das Ziegenhorn. So wussten die Melser Ziegenbesitzer, wann sie ihre Tiere ziehen lassen konnten. Gehütet wurden die ungefähr 100 Tiere von einem Hirten aus Graubünden. Am Abend führte er die Tiere wieder ins Dorf, wo sie selber zu ihren Besitzern zurückkehrten. Im Vergleich zu vielen anderen Ziegenbesitzern hatten es die Melser sehr komfortabel. Sie brauchten nur morgens und abends in den Keller zu gehen, um dort zu melken.

Nicht überall kehrten jedoch die Ziegen abends zu ihren Besitzern zurück. Die Mädriser Ziegen wurden auf  Geissäugsten gemolken. Heute führt die Strasse zum Chapfensee direkt an den Ställen vorbei. Sie lässt vergessen, wie aufwendig es für die Besitzer war, zweimal täglich den Weg zu diesen Ställen zurückzulegen. Gehütet wurden die Tiere von Knaben einer der Melser Aussenschulen. Sie konnten am Abend nach Hause zurückkehren, ganz im Gegensatz zu den Melser Ziegenhirten. Diese stammten meist aus Graubünden. Sie hatten im Dorf wohl eine feste Unterkunft, sassen aber abwechslungsweise bei einem der Ziegenbesitzer zu Tisch.

Auch die Ziegenställe bei der alten Sägerei in Quarten beherbergen längst keine Ziegen mehr. Im Sommer 1968 zog zum letzten Mal ein Ziegenhirt mit den Tieren los. Verschiedene Gründe führten zum Verschwinden dieser Tradition. Während früher jede Familie ein paar Ziegen hielt, um ihren Milchbedarf zu decken, sank die Nachfrage besonders nach dem Krieg markant. Vielen schien der Aufwand auch zu gross, morgens vor fünf Uhr und abends um acht Uhr die Ziegen zu melken. Die Kuh des armen Mannes geriet auch in Missgunst, weil sie grosse Schäden in den Wäldern anrichtet. Denn sie frisst am liebsten den Jungwuchs.

Sommer 1968: Damals zog zum letzten Mal die Quartener Ziegenherde von diesen Ställen aus los. Bild: TP

Ziegenhirt zu teuer

Zudem änderte sich die Ferienordnung an den Bündner Schulen. Während Jahren hüteten Knaben aus oberen Schulklassen die Quartner Ziegen. Als die Bündner jedoch die Dauer der Sommerferien verkürzten, hätte ein eigentlicher Ziegenhirte angestellt werden müssen. Das konnte man sich jedoch nicht leisten. Dies bedeutete ein Ende der Ziegenherde und damit auch, dass die Ställe nicht mehr für Ziegen benutzt wurden. Sie werden seither als Abstellräume genutzt, genauso wie jene in Mädris.

Keine Spuren blieben von den Murger Ziegenställen übrig. Um 1940 standen elf Ställe in der Gödisegg. Diese reichten jedoch nicht aus. Wer keinen Stall hatte, musste seine Ziegen in einer Höhle unter einem Felsblock melken. Bis vor einigen Jahren zeugten noch vier Ställe von der ehemaligen Nutzung der Gödisegg. Am besten erhalten war ein Stall mit einem gemauerten Grundgeschoss. Im Dachgeschoss lagerte früher Laub, das als Streue verwendet wurde. Ein zweiter Stall stand auf einem Fundament, das nur aus ein paar Steinen bestand. Im Gegensatz zu den üblicherweise sehr einfach gehaltenen Gebäuden erfolgte hier der Zugang zum Dachboden über eine Luke, die rechtwinklig zum Dachfirst stand. Die Ställe mit Holzfundament stürzten schon früher ein. Heute führt der Wanderweg direkt an den früheren Ställen vorbei. Wer es nicht weiss, würde nie erahnen, dass dort einmal Ziegenställe standen. Längst hat die Natur den Platz wieder beansprucht.

Nur noch eine Erinnerung: Vor wenigen Jahren verschwanden die letzten Ziegenställe von der Gödisegg in Murg.  Bild: Archiv Sarganserländer

Hühner fortschrittlich gehalten

Ein ähnliches Schicksal wie die Ziegenställe ereilte die Hühnerhöfe. Diese gehörten früher zu jedem Bauernhof. Heute findet man sie nur noch selten. Stehen sie noch, gackern dort nicht mehr Hühner, sondern lagern Fahrräder und Baumaterial. Einst vorbildlich gehalten wurden die Hühner im Oberprod oberhalb Sargans. Das lang gezogene Gebäude wurde in den 1940er-Jahren von Josef Gubser gebaut. Er lebte neben der Landwirtschaft von der Aufzucht und Haltung von Legehennen. Da er ein geschickter Handwerker war, liess er nur das Fundament machen und erstellte die Holzkonstruktion selber. Dabei liess er sich von seinem zentralen Anliegen leiten, dass die Tiere viel Licht und einen grossen Auslauf haben. Damit war er seiner Zeit weit voraus.

Mehr als zehn Jahre später wurden in der «Rundschau», der Zeitung der Vereinigung der Landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände der Schweiz, Hühnerställe angepriesen, in denen Licht, Luft und Sonne bis in den hintersten Winkel Einlass finden. «Um wie vieles besser würde sich ein solcher Hühnerstall neben dem Bauernhaus ausnehmen als der bisherige Verschlag!», meinte der Verfasser. Zur gleichen Zeit veröffentlichte der Schweizerische Geflügelzuchtverband Baupläne für neue Ställe: ein Holzgebäude mit Pult- oder Satteldach und grossen Fenstern in Richtung Südosten. Grossen Wert legte man auf Öffnungen für die Lüftung. Die Frischluft solle von oben auf den Boden fallen, während die feuchte, warme und verbrauchte Luft aufsteigen und abziehen könne. Auch dieses Kriterium hatte Josef Gubser in seinem Stall bereits erfüllt.

In den Jahren nach dem Krieg hielt er 100 bis 150 Legehennen der Rasse Weisses Leghorn. Die schönsten und besten Eier liess er jeweils im Brutapparat ausbrüten und verkaufte die Küken nach vier bis fünf Wochen. Die übrigen Eier brachte er zu Fuss seinen Kunden oder verkaufte sie einem Händler. Später war das Geschäft aber nicht mehr so rentabel, und da sein Sohn sich mehr für die Viehwirtschaft interessierte, verlor die Hühnerzucht im Oberprod an Bedeutung. Mitte der 80er-Jahre wurde sie schliesslich gänzlich eingestellt.

Im Oberprod oberhalb Sargans: Hier wurden Hühner einst vorbildlich gehalten. Bild: TP

Hygienevorschriften bedeuten das Aus

Führten primär wirtschaftliche Gründe zum Verschwinden von Ziegenställen und Hühnerhäusern, bedeuteten bei den Kalthüttli die Hygienevorschriften das Aus. Diese Art von Gebäude diente in weiten Teilen des Alpenraumes zur Lagerung von Milch. Als Standort wählte man einen möglichst schattigen Ort wie zum Beispiel einen Waldrand. Zur zusätzlichen Kühlung führte man oft Quellwasser durch das Gebäude. Bei einem Kalthüttli in Murg sorgte ein Loch in der Wand dafür, dass kühle Luft vom unmittelbar daneben liegenden Bach die Raumtemperatur tief hielt. Solche Kaltkeller sind ausgesprochen einfache, urtümliche Gebilde. Ihre Konstruktionsweise führt Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende zurück. In der modernen Landwirtschaft erfüllen sie aber keine Funktion mehr und zerfallen. Oder sie werden wie das Kalthüttli in Murg umgebaut.

Im Älpli oberhalb Unterwasser baute man ein Alpgebäude so nah an die Säntisthur, dass Wasser in das Gebäude geleitet werden kann. Der entsprechende Raum wird Keller genannt, obwohl er auf gleichem Niveau liegt wie der Raum daneben, in dem gekäst wurde. In diesem Keller führen zwei Treppenstufen zu einem Podest hinunter. Von da aus stellte man die Tansen in eine hölzerne Wanne, durch die das Wasser fliesst. So konnte die Milch problemlos gekühlt werden. Einzig im Herbst führt die Säntisthur manchmal kaum mehr Wasser. Dann staute man den Bach mit Steinen und erhöhte so die Wassermenge, die durch das Gebäude fliesst.

Jakob Rüdisüli: Er weiss noch, wie man die Kühe mit einer Kuhkette am Futterbarren festmachte. Heute dient diese Kuhkette zum Schliessen der Türe einer Weidscheune. Bild: TP

Nach der Erschliessung umgenutzt

Die Mechanisierung und Erschliessung durch Strassen bedeutete für viele landwirtschaftliche Gebäude eine Umnutzung. Im Niederschlag in Amden steht noch ein Kochhüttli. Dort bereitete früher während der Heuernte die Mutter oder eine Tochter das Mittagessen für die Familie zu. Es bietet gerade mal Platz für einen Tisch und einen Herd. Ein gemauerter Kamin und Wände aus Blech hinter dem Herd schützen vor einem Brand. Heute dient es als Abstellraum.

Aus den zahlreichen Wohnhäusern bei den Weidscheunen wurden in Amden längst Ferienhäuser oder sie stehen leer. Vor der Erschliessung durch Strassen spielten sie jedoch eine zentrale Rolle. Von Ende Oktober bis Neujahr wurde in den Weidscheunen das Vieh gefüttert, und daher wohnten die Familien während dieser Zeit gleich nebenan. Für die Kinder bedeutete dies einen weiten Fussmarsch zur Schule. Im Winter nahmen sie die Skier. Gingen die Futtervorräte aus, zogen Mensch und Tier in den Heimbetrieb. Für den Weg musste oft tagelang Schnee geschaufelt werden. Damit man sich diese grosse Arbeit teilen konnte, schloss man sich mit den Nachbarn zusammen. Jakob Rüdisüli erinnert sich an Winter, in denen die Schneehöhe die Grösse der Tiere übertraf. Dann haben sie zu viert während zwei Tagen Schnee geschaufelt, bis ein Weg zum Heimbetrieb gebahnt war. Mit der Erschliessung durch Strassen erübrigte es sich, dass die Familien bei den Weidescheunen Station machten. Sie wohnen heute im Heimbetrieb, von wo aus man zu den Weidscheunen hoch fährt, wenn die Tiere im Herbst und im Frühling dort weiden.

Praktisch: Oberhalb Unterwasser baute man ein Alpgebäude so nah an die Säntisthur, dass Wasser in das Gebäude geleitet werden kann. Bild: TP

Bauweise und Inneres verraten viel

Auch nicht mehr alle Weidscheunen werden genutzt. Ihre Bauweise und ihr Inneres verraten aber noch viel über die frühere Nutzung. Die Westfassade der Weidescheunen in Amden verkleidete man mit Schindeln. Das sorgte für eine gute Belüftung des Heustocks. Gleichzeitig hielten die Schindeln den Schnee ab, sodass dieser nicht den Heustock bedecken konnte. Im Innern zeugen Löcher an den Futterbarren davon, wie man früher die Kühe anband. Jede Kuh wurde mit einer Kuhkette am Barren fixiert. Daher reihen sich an den Barren grosse Löcher aneinander. Durch diese wurde die Kuhkette geführt. Ein sogenannter Kuhkettenkloben aus Leder oder Holz verhinderte, dass eine Kuh ihre Kette aus dem Barren ziehen konnte. Verlegte man die Tiere in einen anderen Stall, brauchte man nur den Kuhkettenkloben durch das Loch am Barren zu ziehen. Die Tiere führte man mitsamt der Kuhkette in den neuen Stall, wo man den Kloben wieder durch die Löcher im Barren führte. So konnte man sich die Kosten für Kuhketten in jedem Stall einsparen.

Andere Weidescheunen wurden umgenutzt, weil sie als Einstand für Grossvieh nicht mehr tierschutzkonform sind. Ein Beispiel dafür findet sich südlich vom Erlenhof in Grabs. Heute werden dort Truten gehalten. Zudem dient der Stall als Materiallager. Früher nutzte man ihn von März bis zur Alpzeit und nach der Alpzeit bis Ende November für Vieh. Auch Heu von den umliegenden Wiesen lagerte man in der Scheune ein. Gebaut wurde sie im Jahr 1911. Über all die Jahre hat sie ihr Aussehen nicht verändert: Grobe Holzbretter bilden die Wände, im Dachgeschoss wurden sie mit Schindeln bedeckt.

Diese Besonderheit findet sich auch an den Streuegaden bei den Schwendiseen im Obertoggenburg. Wollte man mit den Schindeln wie in Amden verhindern, dass Schnee eindringt? Die Inhaberin eines Gadens kann sich vorstellen, dass die Schindeln nur zur Zierde angebracht worden sind. An der Weidescheune in Grabs auch? Eine der vielen Fragen zu alten landwirtschaftlichen Gebäuden, die unbeantwortet bleiben. Doch eines ist gewiss: Die Streuegaden bei den Schwendiseen haben in ihrer ursprünglichen Funktion ausgedient. Vorbei sind die Zeiten, als die Streue mit dem Schlitten zum Heimbetrieb transportiert wurde. Jetzt werden sie noch als Abstellraum genutzt, und irgendwann werden wohl auch diese Zeichen früherer landwirtschaftlicher Nutzung verschwinden.

Wandel: Wo früher Bauernfamilien temporär wohnten, erholen sich heute Feriengäste. Bild: TP
«Dieser Beitrag stammt aus der Juniausgabe 2016 der ‘Terra plana’.»
Karin Heiz/sardona24