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Mels
15.04.2022

Wechselvolle Geschichte bis zum Neustart

Die Seilbahn Palfries wird seit 2016 wieder touristisch genutzt: Nicht nur die 3043 Meter lange Fahrt ist atemberaubend, sondern auch das dadurch erschlossene Wandergebiet auf der Hochebene. 
Die Seilbahn Palfries wird seit 2016 wieder touristisch genutzt: Nicht nur die 3043 Meter lange Fahrt ist atemberaubend, sondern auch das dadurch erschlossene Wandergebiet auf der Hochebene.  Bild: TP
Die frühere Militärseilbahn von Mels-Ragnatsch nach Palfries wird heute touristisch genutzt.* (Ivo Bizozzero, Terra plana, März 2017)

Im Jahr 2016 wurde die Seilbahn Palfries einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die atemberaubende Fahrt, während der innert kurzer Zeit ein Höhenunterschied von 1248 Metern bewältigt wird, bietet eine herrliche Aussicht auf das Sarganserland und die Walensee-Region.

Das Rad rund 100 Jahre zurückdrehen

Bis ins 19. Jahrhundert bahnte sich der Rhein seinen Weg durch das Sarganserland Richtung Bodensee selbst. Ein Durchqueren der Talsohle wurde massiv erschwert: Die übliche Reiseroute durch das Sarganserland führte deshalb lange Zeit von Maienfeld über St. Luziensteig auf der einen und über die alte Schollbergstrasse auf der anderen Seite. Heute noch säumen mittelalterliche Burgen den Weg. Nach der Kanalisierung des Rheins im 19. Jahrhundert und dem Verschwinden dieses natürlichen, das Sarganserland schützenden Hindernisses kam es zunächst dennoch zu keinen militärischen Neubauten; ein Zustand, der den Ersten Weltkrieg überdauerte, da ein Angriff von Nordosten richtigerweise nicht als wahrscheinliches Szenario eingeschätzt worden war (vgl. Gaba-thuler, S. 58). Das Gefühl der Sicherheit, das sich in den 1920er-Jahren nach dem überstandenen Krieg ausbreitete, liess den Gedanken an ein Verteidigungskonzept für das Sarganserland gar nicht erst aufkommen – entsprechende Planungen wären auch nicht mehr durchzuführen gewesen: 1924 war das Büro für Befestigungsbauten aufgelöst worden.

Erst 1934 – in den Nachbarländern hatten inzwischen Mussolini (1926) und Hitler (1933) die Macht übernommen, Frankreich seine Grenzen mit neuen Festungen und Bunkern geschützt – und mit der Eingabe des Maienfelder Ingenieurs Hans Luzius Gugelberg von Moos an das Militärdepartement wurde ein Ausbau der Region Sargans zur dritten Landesfestung nach St-Maurice und St. Gotthard zum Thema. Da galt die Schweiz aus Sicht Frankreichs, das die Umgehung des eigenen Wehrsystems fürchtete, bereits als «Befestigungslücke» (vgl. Fuh-rer, S. 44 ff.).

Palfries oder Palfris

Für den Begriff gibt es keine verbindliche Schreibweise – nur eine gängige: Palfries. Das Dehnungs-«e» nach dem «i»-Buchstaben zeigt dem Leser, dass es sich um einen Langvokal handelt und dass der Name auf der zweiten Silbe betont wird. In älteren Texten wird dieser Langvokal mit einem Doppel-i oder einem y-Buchstaben geschrieben. Die nicht gängige Schreibweise Palfris zeigt nicht, welche Silbe zu betonen und wie der Name auszusprechen ist: Dem i-Buchstaben fehlt ein Sonderzeichen als unterscheidendes Merkmal für den Langvokal. Palfris ist also eine sprachwissenschaftlich unvollständige, Palfries eine sprachhistorisch richtige und zudem leserfreundliche Schreibweise.

Palfris – so die Schreibweise gemäss Werdenberger Namenbuch, Flurnamen für die Gemeinde Wartau 2004 – ist ein grosses Alpgebiet an der Westabdachung von Gonzen, Gauschla und Alvier. Die teils flache, teils wellige Terrasse entwässert in steilen, trichterartigen Tobeln ins Seeztal. Der nordwestliche Teil der Alp (Hinderpalfris) war jahrhundertelang durch die Walser dauernd bewohnt. (ga/WN)

Historischer Anblick: Aus der Zeit der Schulen und Kurse. Bild: Ulrich Bär, Mels

Ausbau der Festung Sargans – Bau der Seilbahn Palfries

1935 wurde das Büro für Befestigungsbauten wieder etabliert. Ingenieuroffiziere arbeiteten im Juni 1936 nach vorgängigen Abklärungen im Sarganser-land einen Befestigungsvorschlag aus, auf dessen Basis man mit dem Bau der Artilleriewerke Ansstein und Scholl-berg begann (vgl. Gabathuler, S. 58 ff.). Ein im Sommer 1938 durchgeführter taktischer Kurs legte die Frontlinie fest; Verpflegung und Munition hätten auf der Route Flums–Berschis–Sennis–Palfries–Seveler Berg geliefert werden sollen, wofür mehr als 1000 Trainpferde benötigt worden wären. Da die Versorgung auf diese Weise kaum zu gewährleisten war, rückte der Bau einer Seilbahn in den Fokus (vgl. Gabathuler, S. 67). Als im September 1939 ein Detachement beim Bau einer befestigten Maschinengewehrstellung im Alviergebiet eingeschneit und von der Versorgung abgeschnitten worden war, erhielt die Idee zusätzlichen Auftrieb (vgl. Gabathuler, S. 93). Mit der 1940 -erfolgten und bis zum Ende des Krieges gültigen Festlegung der Front-   -linie Churfirsten–Alvier–Trübbach fiel schliesslich die Entscheidung, dieses zuvor nur über Oberschan erreichbare Gebiet mit einer Seilbahn von Rag-natsch aus zu erschliessen und eine Versorgung der dort stationierten Truppen künftig über diesen Weg zu gewährleisten. 1941 wurde die Pendelbahn von der Aarauer Firma Oehler errichtet. Ein kleines Puzzlestück der Festung Sargans, die ab 1940 mit St-Mau-rice zum Eckpfeiler des Schweizer Reduits wurde.

Zahlen sollen abschliessend belegen, mit welcher Energie nur schon die Planung der Festung vorangetrieben wurde: Zählte das am 1. Mai 1939 im Banchini-Haus eröffnete Büro für Befestigungsbauten Sargans neben seinem Leiter, Hauptmann Werner Schüepp, zunächst vier Ingenieure, drei Techniker und zwei Zeichner, unterstanden Schüepp Ende 1942 nicht weniger als 200 Personen (vgl. Lüem, S. 67).

Ein Hin und Her um Verpachtung der Seilbahn Palfries

Am 27. Februar 1942 meldete Schüepp dem Baudepartement St. Gallen, dass die Militärseilbahn demnächst dem Betrieb übergeben werde: «Vorerst [...] wird es sich nur um Militärtransporte handeln. Nach der Mobilmachung ist die Seilbahnanlage vom Kanton zu konzessionieren, um für den Zivilpersonen-Transport zugelassen zu werden.» Im Juni wurde die Bahn durch die zuständige kantonale Stelle geprüft und vom Regierungsrat Mitte August die Konzession erteilt.

Zweieinhalb Jahre später, am 6. Oktober 1944, wandte sich Schüepp erneut an die Regierung. Aufgrund zahlreicher Anfragen sollten Möglichkeiten geprüft werden, die Seilbahn auch nach Kriegsende zu betreiben. Aus St. Gallen meldete man drei Wochen später: «[...] dass wir selbstverständlich alles Interesse an der Aufrechterhaltung des Betriebes der Seilbahn haben.» Als sich Verhandlungen mit den lokalen Verkehrsvereinen ergebnislos bis in den März 1946 hingezogen hatten, verkündete das Festungskommando am 20. Mai 1946 den Abbruch der Verhandlungen, gab dem kantonalen Baudepartement jedoch gleichzeitig bekannt, dass man in der St. Galler Arbeitsgemeinschaft für Ski- und Wandertouristik einen neuen Interessenten gefunden habe. Das Baudepartement reagierte am 31. Mai mit einer abschlägigen Antwort, worauf die Arbeitsgemeinschaft am 4. Juni darum bat, auf die Entscheidung zurückzukommen und die Konzession provisorisch von der Armee auf sie zu übertragen. In der Folge stritt man über manche Frage, die Wochen zogen dahin, zu einer Einigung kam es nicht – und am Ende zerschlug sich das Interesse. Auf den 1. Februar 1947 folgte schliesslich die Übergabe der Bahn an die Festungswacht-Kompanie 13, welche die Beförderung von Privatpersonen einstellte.¹

«Bis auf weiteres» ...dauerte fast 70 Jahre: Inserat im «Sarganserländer» vom 22. Januar 1947. Bild: Ivo Bizozzero

Militärische Nutzung

1949 wurde zwischen der Armee und der Alpverwaltung Palfries ein Schussgeld-Vertrag abgeschlossen, der das Alpgebiet in den kommenden Jahrzehnten zu einem Übungsplatz für militärische Schulen und Kurse werden liess. Die Seilbahn behielt dabei ihre ursprüngliche Versorgungsfunktion. Am 1. September 1972 wurde das bisherige Abkommen in einen Dienstbarkeitsvertrag umgewandelt, was nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne ging. Es wurde diskutiert, ob statt des Militärs nicht Naturschutz und Tourismus Vorrang haben sollten. Neben der Armee hatte auch die Alpverwaltung Grund, sich zu verteidigen: Solange man zur Armee Ja sage, liess sie am 5. August 1972 verlauten, müsse man ihr auch Raum zum Üben geben.

Ohne Auswirkungen blieben die Diskussionen nicht: Während in den Zeiten der Ferienkolonie Uznach auch im Sommer geschossen wurde, verlagerte sich die militärische Nutzung nun vermehrt in den Winter. Als regionales Spiegelbild der nationalen Debatten um die Schiessplätze Alp Tam-bo und Rothenthurm kochte dieser Streit auch in den darauf folgenden Jahren hoch.²

Strategiewechsel der Armee – Verkauf der Bahn

Dank der militärischen Nutzung und der damit zusammenhängenden regelmässigen Überprüfung der Komponenten blieb die Seilbahn Palfries in einem ausgezeichneten Zustand. 1980 erfolgten Erneuerungen der Fahrbetriebsmittel, des Antriebs, der Bremsen sowie der elektrotechnischen Einrichtungen, ausserdem wurden die Kabinen von der Berner Firma Gangloff ersetzt. Berg- und Talstation des ursprünglichen Baus blieben ebenso wie die für die Firma Oehler typischen T-Stützen erhalten (vgl. Schweizer Seilbahninventar, Z402). Die Investitionen zeigen, dass nichts auf einen baldigen Strategiewechsel der Armee hindeutete. Dieser erfolgte in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren dann dennoch – nicht zuletzt deshalb, weil die internationale Militärdoktrin sich gewandelt hatte. Da das Gebiet der Alp Palfries nun für Infanterieübungen als ungeeignet eingestuft wurde, beendete man den Vertrag mit der Alpkorporation, womit auch die Seilbahn ihren ursprünglichen Zweck verlor. Sie teilte damit das Schicksal vieler Bauten aus der «Aktivzeit». Käufer waren und sind nicht leicht zu finden, weil die Auflagen des Raumplanungsgesetzes und die hohen Unterhaltskosten häufig gegen eine zivile Nutzung sprechen. So wird künftig mancherorts ein Rückbau unvermeidbar sein – und unter Einhaltung der Vorschriften teuer werden (vgl. Lüem, S. 69).

Die Frage der Liquidation stellte sich bei der Seilbahn Palfries nicht. 1998 suchte die Armee einen Abnehmer, der schnell gefunden war und der 2016 nach Überspringen von mancherlei Hürden den Betrieb aufnehmen konnte. Dadurch ist es heute nicht nur möglich, ein einzigartiges Naherholungsgebiet bequem aus dem Sargan-serland zu erreichen; es wird durch die Bahn gleichzeitig auch an eine Zeit grosser Gefahren und Aufgaben erinnert, die von der Schweizer Bevölkerung zu bewältigen waren.

Jeder hilft mit: Karton um Karton wird so in die Baracken getragen. Bild: Petronella Feusi

Ferienkolonie Uznach

Ab 1946 verbrachten jeweils rund 80 bis 100 Kinder aus Uz-nach einen Teil ihrer Sommerferien auf der Alp Palfries. Petronella Feusi, die Palfries in jenen Jahren kennen und lieben gelernt hat, erinnert sich wie viele andere Uznacher gerne an diese Zeit: «Wir bewohnten die zahlreichen Militärbaracken auf der Alp. Nach Palfries gelangt sind wir zu Fuss von Trübbach aus.» Das Tragen des Gepäcks blieb den elf bis 15 Jahre alten Kindern erspart: Ihre Koffer und das übrige Material wurden mit der Seilbahn transportiert. Da stets eine Person in der Kabine mitfahren sollte, wäre auch Feusi beinahe in den Genuss einer Fahrt gekommen, doch scheiterte das Vorhaben unmittelbar vor Betreten der damals noch grauen Gondel: Weib-lichen Personen, so hiess es, sei das Fahren mit der Militärseilbahn untersagt. Personen wurden ohnehin nur selten mit der Bahn befördert. Feusi erinnert sich, dass einmal ein erkranktes Mitglied der Ferienkolonie die Bahn benützen durfte, um möglichst schnell ins Tal zu gelangen. Wichtig war die Bahn für die Versorgung des dreiwöchigen Lagers: Jeweils am Dienstag und Freitag folgte eine Lieferung aus dem Tal.

1966 endete die Ferienkolonie Uznach in Palfries nach zwei Jahrzehnten. Der neu mit der Aufgabe betraute Lehrer entschied sich für einen Wechsel nach Sedrun. (ib)

Blick zurück: Palfries in der Zeit der Ferienkolonie. Bild: Petronella Feusi

Fussnoten
¹ für dieses Kapitel: Staatsarchiv, A 017/22
² für dieses Kapitel: Staatsarchiv, CK 10/3.03

Literatur

Fuhrer, Hans Rudolf: Die Festung Sargans als Teil der militärischen Landesverteidigung, in: Erinnerungen an die Festungsbrigade 13, hrsg. von Walter Gieringer, Chur 2003, S. 41–59.
Gabathuler, Walter: Die Festung Sargans – ihre Geschichte, ihre Objekte, ihre Aufgaben, in: Werdenberger Jahrbuch 2014, 27. Jahrgang, Buchs 2013, S. 50–259.
Lüem, Walter: Der Bau der Festung Sargans, in: Erinnerungen an die Festungsbrigade 13, hrsg. von Walter Gieringer, Chur 2003, S. 61–69.
Staatsarchiv St. Gallen, Dossier A 017/22 Seilbahn Ragnatsch–Palfries, Festungskommando Sargans, Mels, Wartau.
Staatsarchiv St. Gallen, Dossier CK 10/3.03 Verhandlungen und Verträge mit dem Eidgenössischen Militärdepartement EMD betreffend Bau einer Seilbahn und Errichtung eines Schiessplatzes auf Palfris.

www.seilbahninventar.ch, Objekt Z402, aufgerufen am 15. Januar 2017.

Stricker, Hans: Werdenberger Namenbuch – Flurnamen der Gemeinde Wartau. Verlag Werdenberger Namenbuch. Buchs 2004.
Der Autor dankt folgenden Personen für ihre Hinweise und die Zurverfügungstellung von Fotos: Ulrich Bär, Thomas Bitterli (Armasuisse, Denkmalschutz), Petronella Feusi, Walter Gabathuler, Martin Stucki, Markus Walser, Michael Kohler, Verena Wälti, Hans Zogg (Alpkorporation Palfries).

«*Dieser Beitrag stammt aus der Märzausgabe 2017 der ‘Terra plana’. »
«Terra plana» – die Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft Bild: Terra plana
Ivo Bizozzero/sardona24