Entgegen dem Vorurteil, welches die Gesellschaft gegenüber musischen Menschen hat, bin ich ein übertrieben pünktlicher Mensch. In der Regel bin ich oft 15 Minuten vor dem Termin vor Ort und schaue mich noch ein wenig um. Dies führt dann, wenn man beispielsweise um Restaurants herumschleicht, hin und wieder zu kuriosen Situationen. Auch am vergangenen Donnerstag gehörte ich beim Alpina in Schiers zu den Wartenden, freute mich aber sehr auf meinen Gast, obwohl er, zu Fuss unterwegs von Fläsch her, einige Minuten Verspätung im Schlepptau hatte. Halb so wild, denn hier begleitete mich eine spannende Persönlichkeit ins Restaurant, welches seit wenigen Monaten unter neuer Führung ist. Vor wenigen Tagen hat Köbi Gantenbein seine Pensionierung per Mail und Kolumne im Magazin Hochparterre angekündigt, was mich kurzerhand dazu veranlasste, ihn zum Kaffee einzuladen. Ich war mir sicher, bei so einem Gespräch bekomme ich neben spannende Geschichten und Anekdoten aus fast 40 Jahren Arbeitsleben in der Medienwelt, sicher auch eine Handvoll Weisheiten mit auf den Weg, die mir bei meiner Tätigkeit als Journalist und vielleicht auch als Mensch einiges bringen.
Köbi Gantenbein geht in Pension

Zwei Bücher im Zeichen des Klimas
Vis-à-vis vom Stammtisch haben wir Platz genommen und nach einer kurzen Fragerunde zu meiner Person kam Köbi Gantenbein auf das Projekt «Klimaspuren» zu sprechen. Seiner sechswöchigen Wanderung mit 700 Leuten entlang von Schauplätzen des Klimawandels hatten wir beim P&H im vergangenen Sommer viel Platz eingeräumt, was er nochmals herzlich verdankte.
Gleich an zwei neuen Büchern arbeite er aktuell. Das eine handelt eben von der Klimareise, welche ihn vor präzis einem Jahr von Ilanz nach Genf geführt hat. Das Reportagenbuch mit Fotografien von Ralph Feiner aus Malans und Jaromir Kreiliger aus Ilanz werde er zusammen mit seinen «Klimaspur:innen» Zoe Stadler und Dominik Siegrist am 18. Juni an einer Vernissage in Flüeli Ranft im Kanton Obwalden vorstellen. Auch das zweite Werk mit dem Titel «Agenda Raum Schweiz» wird noch in diesem Jahr erscheinen. «Es dreht sich um klimavernünftige Raumplanung», erläutert Gantenbein. «Für dieses Buch habe ich mich zusammen mit Hans-Georg Bächtold, mit dem ich in Schiers einst zur Schule ging, intensiv mit der Zukunft der Schweiz auseinandergesetzt. Wir haben 32 Essais versammelt und mit den Chefetagen von Swisscom, Migros oder Coop, aber auch von Unia, Pro Natura oder der Stiftung für Landschaftsschutz gesprochen.» Eine Erkenntnis aus den zwei Büchern: Neben dem Anpassen des eigenen Lebensstils sei es wichtig, grossen Playern auf die Finger zu schauen. «Öl, Gas und Kohle sind die Energieträger, welche die grösste CO2-Belastung für die Welt sind. In Zürich befinden sich auf knapp 500 Metern die weltweit führenden Finanzfirmen, die die Ausbeutung von Öl, Gas und Kohle finanzieren und so die Klimakatastrophe wesentlich fördern. Wir müssen ihr Geschäftstreiben kritisch untersuchen und unterbinden.» Auch wüssten viele Leute nicht, dass ihre Pensionskassen die Aufheizung des Klimas fördern, weil sie keine klimavernünftige Anlagereglemente hätten. Der Journalist nimmt aber auch andere Aspekte der Klimakrise zur Brust. So lobt er in «Auf Klimaspuren!» die Klimabauern vom Plantahof und kritisiert, wie die gängige Landwirtschaftspolitik mit dem Ausbau der Fleischproduktion Zukunft verspielt. Aber er macht auch Mut, wie engagiert Forscherinnen und Unternehmer die alternativen Energien entwickeln. Wie bei all seinen Texten setzt Gantenbein aufs journalistische Schreiben: «Die, die alles zu wissen meinen, müssen sagen: Es stimmt und ist gut erzählt, und die, die noch nicht so viel wissen, müssen sagen: Ich habe es gerne gelesen und ich habe etwas gelernt».
«Bündner helfen einander doch»
Geschrieben habe er schon während seiner Zeit an der Evangelischen Mittelschule in Schiers, damals noch für die Schülerzeitung. Zwei Tage nach der Matura habe man ihn fast zeitgleich mit Andrea Masüger auf die Redaktion der «Bündner Zeitung» geholt, wo er den Journalismus von Grund auf gelernt habe. «Mein Chef und Förderer Hanspeter Lebrument gab den Anstoss, dass ich zu einem Studium ins Unterland solle. Und so habe ich in Zürich Soziologie und Geschichte studiert.» Das Interesse für die Raumplanung sei bei ihm aber nicht erst durch das Studium geweckt worden. «Schon als Bub hatte ich eine Leidenschaft für die Landschaft. Ich war früh Mitglied beim ornithologischen Verein Landquart und lernte, dass die Vögel nur in intakten Landschaften leben können. Und so erfuhr ich auch, dass der Raum mit all seinen Konflikten um Besitzansprüche ein spannendes Thema ist.» Seine journalistische Neugier und auch seine von Haus aus mitgegebene Prättigauer Arbeitsmoral haben ihn in Zürich ins Studio des Schweizer Radios, welches damals noch unter DRS firmierte, gebracht. «Ich habe viel Radio gehört und mir ist aufgefallen, dass da ein Konrad Tönz arbeitet. Ich habe gedacht, der wird wohl auch aus Graubünden kommen, habe zwei Ordner mit meinen Presseberichten mitgenommen und beim Radio geläutet.» Als er dann vor dem etwas verdutzten Tönz gestanden habe, sei es schnell gegangen. «Ich habe Konrad gesagt, er müsse als ein Tönz wohl aus Vals stammen, und es sei Sitte und Brauch, dass die Bündner im Unterland einander helfen. Zwei Tage später habe ich meine erste Radiosendung im Regionaljournal gemacht.» Das journalistische Grundzeug habe er ja schon in Chur sich angeeignet, dann sei es ein Leichtes gewesen, auch noch das Radiohandwerk im Alltag zu erlernen. Und so machte Gantenbein Sendungen für das «Rendez-vous am Mittag», für das «Regionaljournal» und für das Nachrichtenmagazin «Von Tag zu Tag».

Liberté, Egalité und Solidarité
Auch nach dem Studium hat der Fläscher bei Radio DRS gearbeitet und zum Beispiel die Texte für den satirischen Wochenrückblick am Samstag nach den Mittagsnachrichten geschrieben. Bis er an einem Tag Benedikt Loderer kennenlernte. «Er fragte mich an, ob ich Lust hätte, gemeinsam mit ihm und finanziert vom Beat Curti das Magazin ‹Hochparterre› zu gründen. Da mich Raumplanung und Landschaft immer interessiert haben und ich auch mit den Themen Architektur und Design gut etwas anfangen konnte, habe ich zugesagt.» Anfang der Neunziger haben die Zwei dem Verleger Beat Curti Hochparterre abgekauft und sind selber Unternehmer geworden. «Ich bin ein Sozialist und so wollte ich auch unsere Firma sozialdemokratisch aufbauen. Wir haben von der französischen Revolution die beiden Begriffe Liberté (Freiheit) und Egalité (Gleichheit) gelernt und die Fraternité (Brüderlichkeit) haben wir durch die Solidarité (Solidarität) ergänzt.» Diese Grundwerte haben laut dem 66-Jährigen bis heute in der Firma Bestand. «Wir haben aber nicht bloss von Gleichheit gesprochen, sondern vorgezeigt, wie sie funktioniert. Bei Hochparterre verdienen alle gleich viel. Eine junge Redaktorin, die erst grad angefangen hat, ebenso wie ich als langjähriger Chefredaktor und Firmenbesitzer.» Wegen diesen Grundprinzipien stand auch anlässlich der Pensionierung von Gantenbein ein profitabler Verkauf der Firma, zu der inzwischen weitere Zeitschriften, ein Buchverlag, ein Internetportal und eine Buchhandlung gehören, nie zur Debatte, obwohl gute Angebote aus Deutschland und auch aus Chur auf seinem Tisch gelandet seien. «Schon als sich 2010 mein Kollege Loderer pensioniert hat, haben wir entschieden, dass die Aktiengesellschaft einst den Mitarbeiter:innen gehören soll. Also hat Hochparterre vor ein paar Wochen eine Stiftung gegründet, der er seine Aktienmehrheit übergeben hat. Die Stiftung Mezzanin werde kontrolliert von allen 21 Mitarbeiter:innen. «Es war den Hochparterris und mir immer wichtig, dass wir einen guten, lustvollen und engagierten Journalismus machen und gut davon leben können. Neben dem kollektiven Besitz und dem Hüten der Grundwerte, wird die Stiftung das gewährleisten helfen.» Durch seine Voraussicht vor 34 Jahren kämen seine Frau und er im Alter bestens über die Runde. «Es war mir als sozialistischem Unternehmer immer wichtig, dass die ‹Hochparterris› eine exzellente Altersvorsorge haben werden, eingerichtet in einer klimavernünftigen Pensionskasse. Nun erfreut sie mich auch persönlich.»
Gar nicht mal so ruhig
Wer jetzt aber denkt, dass Köbi Gantenbein seine Seele in Fläsch baumeln und den Stift komplett in der verschlossenen Griffelschachtel lässt, der kennt den engagierten Rentner schlecht. «Für das Kulturmagazin Frieda schreibe ich in Zukunft über Volksmusik.» So schliesst er den Kreis. «Denn angefangen habe ich als Vierzehnjähriger mit Zeitungsberichten über Pop- und Rockmusik. Und so schreibe ich nun über zeitgenössische Volksmusik von den Fränzlis da Tschlin über Corin Curschellas bis Vera Kappeler und Pez Zumthor.» Auch ist der in Malans Aufgewachsene selber ein Musikant und findet nun mehr Zeit für sein Instrument, die Klarinette. «Mit meinem zehnköpfigen Orchester Bandella delle Millelire war ich jüngst für die Bündner SP auf Wahlkampftour mit sozialistischer Volksmusik von ‹Bella ciao› bis ‹Avanti popolo› und oft reisen wir als Tanzkapelle zumindest musikalisch vom Balkan ins Prättigau». Mit seiner Formation «Försterkapelle» spielt er am 10. Juli auf der Burg Castels in Putz die «Suite über das lange Leben des Försters Johann Wilhelm Fortunat Coaz». Nebst Hochparterre hat er auch sein Engagement in anderen Firmen aufgegeben und diverse Ämter niedergelegt, mitwirken tut er aber weiterhin als Präsident der Kulturkommission des Kantons Graubünden, «und mit Freude helfe ich, den Bündner Literaturpreis aufzubauen.» Am Beispiel von Jakob «Köbi» Gantenbein, der noch immer vor Ideen sprüht, kann man sehen, wie jung einen der Austausch mit anderen Kreativen und der Dienst an der Gesellschaft halten können. Schön, hat er keinen kompletten Schnitt gemacht und kann auch weiterhin gelesen, gehört und persönlich getroffen werden.