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Ostschweiz
18.06.2022

Lichterlöschen bei der Heilpädagogischen Schule

Eine Ära endet am 1. Juli an der Schule Küblis. Annina Reidt, Hanspeter und Monika Nett haben 24 Jahre lang eine Insel für Originale geschaffen.
Eine Ära endet am 1. Juli an der Schule Küblis. Annina Reidt, Hanspeter und Monika Nett haben 24 Jahre lang eine Insel für Originale geschaffen. Bild: C. Imhof
Nach rund 70 Jahren endet eine Ära im Prättigau. Die Heilpädagogische Schule in Küblis schliesst am Freitag, 1. Juli 2022 für immer. Der sichere Hafen für junge Menschen mit besonderen Bedürfnissen hat im Lehrplan 21 keinen Platz mehr, weshalb diese zukünftig ins Schulheim nach Chur müssen. Dies ist auch für das Gemeindeleben von Küblis ein herber Verlust, denn die Schüler:innen der HPS haben stets für einen farbigen Tupfer gesorgt und Integration vorgelebt.

Auf dem obersten Stock des Primarschulhauses in Küblis, gleich neben der Abwartswohnung, befindet sich die Heilpädagogische Schule. Neben dem Panoramablick über das ganze Dorf sei es vor allem ein Umstand, welcher die anderen Klassen ein wenig neidisch nach oben blicken liess, sagt Hanspeter Nett. «Auch wenn im Winter der ganze Pausenplatz dunkel gewesen ist, wir hier oben durften auch in der kalten Jahreszeit uns über viele Sonnenstunden freuen.» Das grossräumige Schulzimmer, welches die letzten 24 Jahre das zweite Zuhause von seiner Frau Monika, der Kollegin Annina Reidt und ihm war, wird ab nächstem Schuljahr in ein Primarschulzimmer umgewandelt. Der Zuschlag für den begehrten Raum habe der Lehrer Thierry Staub mit seinen Fünft- und Sechstklässlern erhalten.

24 Jahre für die Kinder da

Es kommen durchaus nostalgische Gefühle auf, als die drei Lehrpersonen in den alten, bunt bemalten Stühlen Platz nehmen. Obwohl schon seit gut zehn Jahren davon gesprochen werde, die Heilpädagogische Schule zu schliessen, sei ihr die endgültige Entscheidung vom Kanton im November 2021 doch sehr nahe gegangen, sagt Monika Nett. «Einen guten Drittel unseres Lebens haben wir hier an der Schule unterrichtet und lange haben wir noch gehofft, dass wir das Ganze bis zur Pension durchziehen dürfen.» Doch den Lauf der Zeit könne man nicht aufhalten. Das Modell der Sonderklasse im gleichen Schulhaus sei inzwischen leider überholt. Und es stimmt, im Lehrplan 21 gibt es keine Klassen mit Schwächeren, sondern es wird integrierte Förderung und Logopädie praktiziert, was ein Blick auf die Webseite der Schule zeigt. «In den besten Zeiten hatten wir hier 12 Schülerinnen und Schüler, inzwischen sind es gerade noch drei.» Diese besuchen zukünftig das Schulheim Chur. Ebenfalls dort tätig sein wird Annina Reidt, zumindest für einen Tag pro Woche. «Sonst gebe ich noch WAH (Wirtschaft, Arbeit, Haushalt) an der Oberstufe Küblis und unterrichte in Conters Textiles und technisches Gestalten. So kann ich nicht nur weiterhin mit unseren Schüler:innen zusammenarbeiten, sondern darf auch noch das Schulhaus ein wenig geniessen. Fehlen werden mir auf jeden Fall das gemeinsame Kochen und Essen mit den Schüler:innen, welches wir jeweils am Freitag veranstaltet haben.» Der Genuss stehe auch beim Ehepaar Nett ganz oben auf der Planung ab Juli, sagt Hanspeter Nett. «Auch wir hätten die Möglichkeit gehabt beim Schulheim Chur einen Job zu ergattern, doch wir haben uns entschieden eine Auszeit von einem Jahr einzulegen. Wenn mich jemand fragt, sage ich immer: «Wir lösen ein Ticket für Jakarta einfach und lassen es einfach auf uns zukommen.»   

Eine Insel für Originale

Verdient haben die Beiden das Sabbatical auf jeden Fall, denn über zweieinhalb Jahrzehnte waren sie gemeinsam mit Annina Reidt der sichere Hafen für viele Kinder, die in der regulären Schule sonst unter die Räder gekommen wären. «Am Schönsten war es für uns immer zu sehen, wie die Kinder nach einem Wechsel zu uns endlich wieder durchschnaufen konnten», sagt Moni Nett. «Hier in der Schule war jeder in irgendeinem Fach der Beste. So konnten sie sich gegenseitig motivieren und bei vielen konnte man es sofort sehen, wie sie aufgeblüht sind. Das Wichtigste ist uns immer gewesen, dass alle gerne in die Schule gekommen sind.» Neben Kindern mit Handicaps, durften sie auch eine Insel für Junge mit Verhaltensauffälligkeiten oder wie man heute sagt, originelle Kinder sein. Sie hätten immer darauf geachtet, dass die Sonderschule in die Gesellschaft integriert gewesen ist. «Ins Turnen, an den Herbstausflug, an Sport- sowie Projekttage und vieles mehr gehen unsere natürlich mit den anderen Klassen. Oder auch beim Altpapiersammeln wird schon immer gemeinsam angepackt.» Dies kam im Dorf recht gut an, wie die Rückmeldungen zeigen. «Im Dorf sagen viele Leute, wie ‹uhsinnig› schade es doch sei, dass wir die HPS schliessen müssen. Auch das Team vom Restaurant Hirschen wird die Kinder sicher vermissen, denn sie haben sie über die Jahre richtig ins Herz geschlossen und kulinarisch verwöhnt. Ihnen möchten wir ein grosses Dankeschön für die tolle Zusammenarbeit beim Thema Mittagstisch aussprechen.» Verbittert seien sie aber nicht, denn es bleiben zahlreiche wunderbare Anekdoten aus all den Jahren. «Im Rückblick finde ich es schon schön, wie wir das gemeinsam als Team gestemmt haben. Wenn jemand krank war, ist spontan ein anderer eingesprungen und so konnten wir eine konstant sichere Basis schaffen, was uns immer sehr wichtig war.» Das Gemeinsame und die Integration stand bei der HPS immer im Vordergrund. Bald verschwindet der sichere Hafen für Personen mit Lernschwächen im Prättigau. Das macht in der Statistik der IV sicher Sinn, nur ist es auf emotionaler Ebene sehr schade, denn die Kinder werden fast ein wenig aus dem Dorfleben abgeschoben, welches dadurch nicht nur an gelebter Inklusion, sondern auch an Vielfältigkeit und Farbe verliert.

Christian Imhof