Es ist 10.30 Uhr am ersten Sommertag des Jahres. Christian Tinner muss los. Mit seinem kleinen, hellgelben Elektroauto fährt er von Vilters die wenigen Minuten nach Wangs zum Alters- und Pflegeheim Haus am Bach. Der 65-jährige Vilterser hat diese Woche Mahlzeiten-Lieferdienst. Das heisst, er liefert von Montag bis Sonntag jeden Mittag die bestellten Essen direkt zu den Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinde Vilters-Wangs.
Ein Mahlzeitendienst wird in allen Gemeinden des Sarganserlandes angeboten (siehe Box). In Vilters-Wangs ist seit dem Jahr 2000 das gemeindeeigene «Haus am Bach» dafür zuständig, welches auch die Kinder vom Mittagstisch mit ausgewogenen Gerichten versorgt. Jedes Wochenende wird der neue Menüplan, der sogleich jener der Heimbewohnerinnen und -bewohner ist, auf der Website der Gemeinde publiziert und den Klientinnen und Klienten jeweils am Samstag mit dem bestellten Essen mitgeliefert.Ein Angebot für jedes Alter
Als Christian Tinner den Hintereingang des «Haus am Bach» betritt, sind in der Küche Koch Thomas Kalberer und die Lernende Simone Kalberer bereits in ihrem Element. Heute gibt es gebratenes Schweineschnitzel an einer Gemüsesauce mit Trockenreis, für Vegetarier einen garnierten Reissalat und als Wochenhit fein geschnittenes Siedfleisch an einer Vinaigrettesauce und Parmesanflocken. Dazu eine Buchstabensuppe und Salat sowie Aprikosen zum Dessert. Die Geschirre mit den frisch gekochten Menüs werden in Warmhalteboxen gepackt und für Tinner zur Abholung bereitgestellt.
Heute beliefert der Pensionär in Vilters-Wangs 14 Personen. Die Anzahl Bestellungen pro Tag liegt jeweils zwischen zwölf und 20. «Gerade in der Coronazeit hat die Nachfrage zugenommen, nun sind es wieder etwas weniger», so Tinner. Gedacht ist das preiswerte Angebot für all jene, die selber nicht mehr oder aktuell nicht – beispielsweise wegen eines Unfalls – kochen können beziehungsweise nicht wollen und sich dennoch gesund, ausgewogen und abwechslungsreich ernähren möchten. Es gibt Seniorinnen und Senioren, die den Dienst für jeden Tag bestellen, andere lassen sich beispielsweise das Wochenende frei, weil dann die Angehörigen für das Essen sorgen oder sie flexibel sein möchten.
Freiwilliges Engagement
Tinner, der sich vor rund vier Jahren hat frühpensionieren lassen und bis dahin als Elektriker tätig war, ordnet die Warmhalteboxen und packt sie in seinen Wagen. Sein Auto ist übrigens einer der Gründe, warum er sich als Lieferant für den Mahlzeitendienst gemeldet hat. «So kann ich regelmässig mein Elektroauto in Bewegung halten», erklärt er. Für die ersten drei Lieferungen braucht er das Auto aber nicht: Diese trägt er direkt zu den Alterswohnungen neben dem «Haus am Bach». Die Besuche bei den Bewohnenden zeigen: Die Kundschaft kennt Tinner, freut sich, ihn zu sehen, wechselt ein paar Worte, je nachdem, wie gesprächsfreudig man ist. Tinner ist aufgestellt, macht Witze und nimmt sich ein paar Minuten für ein Gespräch. Allzu viel Zeit hat er aber nicht – schliesslich möchten alle Kunden bis am Mittag die Box zu Hause haben.
Der Vilterser wurde in einem Gespräch mit «Haus am Bach»-Chefkoch Marco Lutz für die Aufgabe angefragt. Nebst ihm sind drei weitere freiwillige Lieferantinnen und Lieferanten im Einsatz, die Autospesen werden ihnen vergütet. Sie wechseln sich alle vier Wochen ab; wenn man verhindert ist, wird eingesprungen. Auf die Frage, welche Voraussetzungen für den Job nötig sind, antwortet Tinner: «Man muss gerne Auto fahren, Ortskenntnisse sind auch nicht schlecht – und natürlich muss man die Zeit dazu haben.»
Zufriedene Kundschaft
Nach der Lieferung in den Alterswohnungen geht die Tour los, zuerst nach Vilters, dann nach Wangs. Elf Stationen fährt Tinner ab. Er kennt Schleichwege und die Kunden, weiss, wie «zwäg» sie sind, und nimmt sich bei Bedarf Zeit für einen Schwatz. Der Service und der Kontakt werden von der Kundschaft geschätzt, und so halten sie sich mit Komplimenten nicht zurück. Sie seien sehr zufrieden mit dem Dienst und das Essen schmecke ihnen sehr.
Die Wertschätzung freut Tinner. In der Pension etwas zurückgeben, den Kontakt mit Mitmenschen pflegen und einer sinnvollen Aufgabe nachgehen sind die Beweggründe für den Einsatz. «Die Menschen sind auf unser zuverlässiges Liefern angewiesen», betont er. Nicht zu vergessen ist die soziale Bedeutung, spielt doch Einsamkeit gerade bei Seniorinnen und Senioren eine Rolle. So ist nicht ausgeschlossen, dass die Lieferanten teilweise die einzigen Kontakte sind, die die Bezüger an einem Tag haben.
Die Bedeutung der Dienstleistung unterstreicht Chefkoch Lutz: «Durch den Lieferdienst haben die Menschen die Möglichkeit, länger zu Hause zu bleiben.» Das sei immer mehr ein Bedürfnis, was sich auch in der steigenden Tendenz der Nachfrage widerspiegle.Ein feines Mittagessen
Nachdem alle Menüs geliefert worden sind, bringt Tinner die leeren Warmhalteboxen von den Vortagen ins «Haus am Bach» zurück. Dort stehen die drei Menüs bereit, die er für seine Frau, sich und die Redaktorin zur Degustation bestellt hat – einmal das Schweineschnitzel, einmal den Reissalat und einmal das Siedfleisch mit Vor- und Nachspeisen. Das Mittagessen mundet – so wie es die Seniorinnen und Senioren vorausgesagt haben.