Am 21. März 2023 reichten Sarah Bünter, Louis Stähelin und 51 mitunterzeichnende Mitglieder des Stadtparlaments die Interpellation «Autonome Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs mit Sinnesbehinderung noch machbar?» ein. Darin stellen die Interpellanten fest, dass die «Ausweiskarte für Blinde und Sehbehinderte im öffentlichen Nahverkehr» (VöV-Karte) abgeschafft wird, allerdings nicht für alle eine Alternative besteht.
Alternativen seien gewährleistet
Die VöV-Karteberechtigt Personen, den öffentlichen Nahverkehr vieler Städte zu nutzen. Per 1. Januar 2024 fällt dieses Angebot weg. Dadurch seien Reisende ausgegrenzt, welche wegen fehlender technischer Affinität oder beispielsweise einer doppelten Sinnesbehinderung die bestehenden Möglichkeiten zum Erwerb eines Fahrausweises nicht nutzen können, heisst es in der Interpellation. In St.Gallen seien möglicherweise 99 von 199 Personen aufgrund ihres Alters davon betroffen.
Der Stadtrat meint, dass die autonome Nutzung des ÖV für Blinde und Sehbehinderte sichergestellt sei. So stehen verschiedene Möglichkeiten offen, auch für nicht technisch Affine sei der Billetkauf einfach möglich:
- Jede Person kann schweizweit ein ÖV-Billett telefonisch bestellen (Gratisnummer 0848 446 688 über das CC Handicap). Zudem arbeitet die ÖV-Branche daran, dass diese «Telefonbillette» möglichst bald auf der SwissPass-Karte referenziert werden können.
- In allen Städten, in welchen die Blindenkarte heute gültig ist, gibt es bediente Verkaufsstellen.
- Die Billettautomaten der VBSG in der Stadt St.Gallen haben einen BehiG-konformen Vierquadrantenbildschirm mit Sprachausgabe.
- Alle Personen mit bestätigter Invalidität (IV-Ausweis) können ein um rund 35 Prozent ermässigtes Generalabonnement beziehen.
- Sie haben zudem Anrecht auf das kostenlose Begleitabo.
- Mehrfahrtenkarten.
- Verbundtageskarten oder Einzelbillette im Vorverkauf.
Jedoch sei die Beibehaltung der VöV-Karte in St.Gallen keine Option, da ein diskriminierungsfreier Zugang sichergestellt sei.
Digitalisierung löste die Blindenkarte ab
Die Blindenkarte kam nach der Einführung der Billettautomaten bei den städtischen Verkehrsbetrieben in den späten 1960e-Jahren und dem dadurch abgeschafften Fahrscheinverkauf durch das Fahrpersonal auf. Die Automaten waren für Reisende mit Blindheit oder Sehbehinderung nicht bedienbar. Mit der Einführung der Blindenkarte 1971/1972 wurde diesem Umstand Rechnung getragen.
Reisende mit Blindheit oder Sehbehinderung konnten fortan in 30 städtischen Transportunternehmen des Nahverkehrs kostenlos reisen. Konkret berechtigt die Blindenkarte zu unentgeltlichen Fahrten der Person mit einer Sehbehinderung, eines Blindenführhundes sowie einer Begleitperson im definierten Geltungsbereich der teilnehmenden ÖVUnternehmen.
Der ÖV Schweiz hat sich in der Zwischenzeit stark verändert. Verbünde wurden gegründet und die Begleiterkarte (Ausweis für Reisende mit einer Behinderung) eingeführt und weiterentwickelt. Durch Innovation und die digitale Entwicklung haben sich die Möglichkeiten zum Kauf eines Billetts insbesondere in den Jahren seit der Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) 2004 stark verändert.
Nebst Schalter und Billettautomaten, welche teilweise ferngesteuert werden können, haben Reisende die Möglichkeit, ihre Billette online in verschiedenen Applikationen zu kaufen oder ein Post Pricing zu nutzen (z. B. Fairtiq). Speziell für Reisende mit Sehbehinderung oder Blindheit öffnet die Digitalisierung mit Sprachunterstützung und Zoom zusätzliche Möglichkeiten.
Weitere Vereinfachungen geplant
Die Billettautomaten der Verkehrsbetriebe verfügen über die Möglichkeit, mit einer einfachen Berührung des Bildschirms das Display auf einen stark vergrösserten Vierquadrantenbildschirm umzuschalten. Die Bedienung dieser Oberfläche ist sprachunterstützt. Zudem steht schweizweit eine Gratistelefonnummer zur Verfügung, unter welcher via Contact Center Brig die wichtigsten Billettarten telefonisch gekauft werden können.
Im Jahr 2023 ist die Umsetzung der Referenzierung von Einzelbilletten auf den SwissPass geplant, womit eine zusätzliche Vereinfachung möglich wird, wie die Kundinnen und Kunden ihr gelöstes Billett im Falle einer Kontrolle vorweisen können.
Im Vorfeld der Abschaffung der Blindenkarte führte die ÖV-Branche Gespräche mit SZBlind durch. Obschon die Blindenorganisation einer kompletten Abschaffung kritisch gegenübersteht, wurde signalisiert, dass unter dem Aspekt der im BehiG verankerten Gleichstellung die Abschaffung akzeptiert werden kann.