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In der SP St.Gallen brodelt es

Cem Kirmizitoprak setzt sich stark für Inklusion ein.
Cem Kirmizitoprak setzt sich stark für Inklusion ein. Bild: zVg
Cem Kirmizoprak hat die Partei verlassen, nachdem er aufgefordert wurde, sich als Kantonsratskandidat zurückzuziehen. Grund dafür soll ein «unangemessener Vorfall» gegenüber einer Frau gewesen sein.

Seit über dreizehn Jahren politisiert Cem Kirmizitoprak für die SP der Stadt St.Gallen. Der 31-Jährige, auch bekannt als «Cems Bond, der Inklusionsagent», dürfte schon vielen St.Gallern aufgefallen sein. Auf seinem Rollstuhl setzt er sich regelmässig und laut für Themen wie Gleichstellung und Inklusion ein.

Er gilt als umtriebiger SP-Politiker, der die Werte der Partei nicht nur vertritt, sondern lebt. Als Leiter der Beratungsstelle Inklusion macht er immer wieder auf Missstände aufmerksam und sorgt dafür, dass die Stadt barrierefrei wird. Doch nun hat der Kurde, der in der Türkei geboren wurde und wegen einer zerebralen Tetraspastik im Rollstuhl sitzt, die Partei verlassen und wirft der SP Mobbing, Doppelmoral und Scheinheiligkeit vor.

Cem K. äussert romantische Gefühle

Am 13. Oktober 2023 hatte Kirmizitoprak einer ihm nahestehenden Frau seine Gefühle geäussert. «Wir haben uns auf der Arbeit sehr gut verstanden und über die Zeit haben sich bei mir romantische Gefühle entwickelt. Ich teilte ihr diese mit und sie konnte sie nicht ganz erwidern, was ich selbstverständlich akzeptiert habe», sagt Kirmizitoprak gegenüber stgallen24. Die beiden hätten über mehrere Wochen stündlichen Nachrichten ausgetauscht und trafen sich regelmässig im beruflichen Kontext – zu Intimitäten kam es allerdings laut Kirmizitoprak nie. 

Nur wenige Tage nach dem der 31-Jährige zu seinen Gefühlen stand, wurde er von zwei Vorstandmitgliedern zu einem Gespräch eingeladen.

Dies, weil sich «eine Person» bei der SP gemeldet hat, «weil sie das Verhalten von Cem Kirmizitoprak im Zusammenhang mit einem Vorfall in seinem beruflichen Umfeld als nicht angemessen einstuft», sagt der Vorstand der SP Kreispartei Stadt St.Gallen.

Genaue Umstände unklar

«Um welches Verhalten es sich genau handelt, konnte man mir nicht sagen», so der Kurde. «Sie forderten mich dazu auf, meine Kandidatur für den Kantonsrat zurückzuziehen. Daraufhin habe ich entschieden, die Partei ganz zu verlassen. Ohne konkreten Sachverhalt, ohne sorgfältige Abklärung hat man mich als Täter abgestempelt. Ich bin schockiert über das Vorgehen dieser Partei, die sich Gleichstellung und Inklusion auf die Fahne schreibt», so Cem Kirmizitoprak. 

Auf Anfrage von stgallen24 bestätigt der Vorstand die Geschehnisse. Es wurden Gespräche mit Cem Kirmizitoprak und der betroffenen Person geführt. 

«Die Zweifel hinsichtlich des Verhaltens von Cem Kirmizitoprak konnten dadurch nicht beseitigt werden. Sowohl der betroffenen Person als auch Cem Kirmizitoprak wurde Unterstützung angeboten, respektive sie sind auf Fachstellen hingewiesen worden. Die zwei Mitglieder des Vorstands der Kreispartei teilten Cem Kirmizitoprak in der Folge mit, dass seine Kandidatur für die SP im jetzigen Zeitpunkt nicht im Interesse der Partei ist. Sie legten ihm nahe, auf seine Kandidatur für den Kantonsrat zu verzichten», heisst es in der Stellungnahme. 

Notfallsitzung einberufen

Kirmizitoprak soll aber daran festgehalten haben, woraufhin die beiden Vorstandsmitglieder den restlichen Vorstand der Kreispartei informierten. Es soll gar eine Notfallsitzung einberufen worden sein.

«Anlässlich einer Vorstandssitzung berichteten sie soweit nötig und möglich, welches Verhalten Cem Kirmizitoprak vorgeworfen wird. Der Vorstand der Kreispartei erachtet es nicht als seine Aufgabe, abschliessend zu klären und zu bewerten, was im Zusammenhang mit dem erwähnten Vorfall tatsächlich geschehen ist. Nach Ansicht des Vorstands ist zum Schutz der beteiligten Personen zudem zwingend von weiteren eigenen Abklärungen abzusehen. Der Vorstand beschränkt sich auf die Feststellung, dass derzeit hinreichende Zweifel an der Angemessenheit des Verhaltens von Cem Kirmizitoprak bestehen», schreibt die Partei weiter.

Im Interesse der SP habe der Vorstand daher entschieden, Cem Kirmizitoprak nicht als Kandidat für die Kantonsratswahlen vorzuschlagen. Dieser Entscheid wurde Cem Kirmizitoprak letzte Woche im persönlichen Gespräch durch ein Vorstandsmitglied sowie schriftlich mitgeteilt. 

«Ich bin Feminist», sagt Cem Kirmiztoprak Bild: zVg

Doppelmoral bei der SP?

«Ich sehe mich als Feminist und würde nie absichtlich die Grenzen einer Frau missachten. Natürlich sind Grenzen auch individuell und wenn ich in irgendeiner Weise etwas getan habe, dass diese Person verletzt hat, dann entschuldige ich mich dafür. Aber dafür würde ich gerne wissen, was ich denn getan haben soll», sagt Cem Kirmizitoprak. Von der Partei sei er masslos enttäuscht.

Innerhalb der SP brodle es ausserdem gewaltig und auch Personen, die für ihn Partei ergreifen, seien von eigenen Mitgliedern scharf angegangen worden.

Auch eine gute Freundin von Cem Kirmizitoprak kann das Vorgehen der SP nur schwer nachvollziehen. «Cem ist ein guter Freund und ich bin stets beeindruckt von seinem ungebremsten Enthusiasmus für Inklusion ohne Wenn und Aber. Nie würde er jemanden absichtlich verletzen, schon gar nicht im Kontext von Gleichstellung, das wäre schlicht absurd», so P.L.*, die lieber anonym bleiben möchte.

Rechtliche Schritte gegen Vorstand

Weiter sagt sie: «In unserem Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung. In der besagten Situation gibt es weder einen Tatbestand noch eine klare Anschuldigung. Es ist sogar nicht klar, wer beschuldigt, welche Motive diese Person hat und wie das Ganze gelaufen ist und wie es schlussendlich in die SP gelangt ist. All das ist ungeklärt und niemand weiss richtig Bescheid oder gibt Auskunft. Der Vorwurf gegen Cem basiert also auf völlig ungeklärten Verhältnissen, im Grunde Gerüchte. Wahrscheinlich geht es hier um Mobbing, eine Form der Diskriminierung, die gar keine Argumente benötigt. Was nützt uns Gleichstellung, wenn Gleichstellungspolitik ihre eigenen Kinder frisst?».

Cem Kirmizitoprak hat sein Leben der Inklusion gewidmet, auch öffentlich und die SP sei ein wichtiger Teil davon gewesen. «Die SP hat sich gerne mit den Errungenschaften von Cem gerühmt», so P.L.

Für den 31-jährigen St.Galler ist klar: «Hinter solch einer Partei kann ich nicht mehr stehen. Wahrscheinlich werde ich zu den Grünen wechseln.» Ausserdem prüfe er rechtliche Schritte gegen den Vorstand. 

Nomination findet am Donnerstag statt

Die Nomination der Kandidaten für die Kantonsratswahlen durch die Mitglieder der SP Kreis St.Gallen erfolgt am 9. November 2023. Der Vorstand der Kreispartei werde der Mitgliederversammlung eine Liste mit 29 geeigneten Kandidaten für die Kantonsratswahl im Kreis St.Gallen zur Nomination vorschlagen.

«Es besteht kein Anspruch, vom Vorstand der Kreispartei vorgeschlagen zu werden. Schliesslich entscheidet die Mitgliederversammlung basisdemokratisch, welche Personen in welcher Reihenfolge für die SP Kreis St.Gallen für den Kantonsrat kandidieren. Es steht sämtlichen Mitgliedern der SP Kreis St.Gallen offen, bezüglich der Nomination Anträge zu stellen. Cem Kirmizitoprak hatte sich als möglicher Kandidat für die Kantonsratsliste zur Verfügung gestellt», erklärt der Vorstand. 

 

Miryam Koc/StGallen24