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Liechtensteiner Vieh für St.Gallen

Die älteste bekannte Darstellung einer Viehherde in der Region St.Gallen/Appenzellerland findet sich auf einer Holzbohlenmalerei aus dem 16. Jahrhundert. Diese befand sich in einem Haus in Gais. Zu sehen ist eine Herde mit Schellen-Leitkuh, die von einem Hirten mit einem Salzstock in der Hand angelockt wird
Die älteste bekannte Darstellung einer Viehherde in der Region St.Gallen/Appenzellerland findet sich auf einer Holzbohlenmalerei aus dem 16. Jahrhundert. Diese befand sich in einem Haus in Gais. Zu sehen ist eine Herde mit Schellen-Leitkuh, die von einem Hirten mit einem Salzstock in der Hand angelockt wird Bild: Stiftung für appenzellische Volkskunde, Herisau
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute: Warum St.Gallen Vieh im «Ländle» kaufte.

Am 5. Juli 1442 orientierten Ammann und Rat von Feldkirch den Stadtsanktgaller Rat in einem Brief über den Ausbruch einer tödlichen Viehseuche am Eschnerberg FL und beidseits des Rheins: Man habe deshalb ein Exportverbot für Vieh erlassen.

Zudem sei den Liechtensteiner und Feldkircher Metzgern unter Eidabnahme ein Verkaufsverbot auferlegt worden.

Missive vom 5. Juli 1442 Bild: StadtASG

Dieser Brief erlaubt Rückschlüsse auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Spätmittelalter. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts wurde in vielen Regionen Europas vor dem Hintergrund kommerzieller Interessen die landwirtschaftliche Spezialisierung gefördert.

Die voralpinen und alpinen Gebiete vom Toggenburg über das Appenzellerland mit dem bis auf 2500 Meter über Meer reichenden Alpstein, bis zum Fürstentum Liechtenstein und Vorarlberg bilden einen Teil des nördlichen Alpenabhangs, der sich im Laufe des Mittelalters auf die Viehzucht und die Produktion von Käse und Butter spezialisierte.

Rinder des Mittelalters und der Frühen Neuzeit waren kleiner als heutige. Eine Kuh hatte im Mittelalter ein Lebendgewicht von 200 bis 250 Kilogramm, was etwa einem Drittel im Vergleich zu heute entspricht Bild: Thomas Fuchs, Herisau: Geschichte der Gemeinde Herisau, Herisau 1999

Städtische Nachfrage

Die treibende Kraft für solche Spezialisierungen war zu einem grossen Teil der zunehmende städtische Bedarf an Fleisch und Molkenprodukten. Die Nachfrage in den Städten bestimmte die Produktion auf dem Land mit, was eine Intensivierung der Viehwirtschaft und somit auch der Alpwirtschaft in den alpinen Gebieten der südöstlichen Bodenseeregion zur Folge hatte.

Abnehmer von Liechtensteiner und Vorarlberger Vieh waren nicht nur die nahe gelegenen regionalen Zentren Feldkirch, Bludenz und Bregenz, sondern auch die grösseren, weiter entfernten Städte wie St.Gallen und Chur.

St.Gallen war mit rund 3500 Einwohnern die grösste Stadt in der Ostschweiz und auf die Versorgung mit Fleisch aus der umliegenden Landschaft, so auch von Liechtenstein, angewiesen.

In der Viehwirtschaft der Ostschweiz hatte die Alpwirtschaft mit von Sennen gehütetem Vieh eine feste Tradition. Ausdruck davon sind die bildlichen Darstellungen des 18. und 19 Jahrhunderts. Stolz präsentiert der Hirte auf dem Eimerbödeli von 1821 mit seiner Kuh und dem Spruch: «Die Kuh ist freilich nur ein Thier, allein wie nützlich ist sie dir.» Bild: Conrad Starck, Stiftung für appenzellische Volkskunde, Herisau

Direkte Viehlieferanten waren oft Metzger, die unternehmerisch an der Vieh- und Alpwirtschaft beteiligt waren. Sie unterhielten beispielsweise mit Bauern sogenannte Viehgemeinschaften.

Diese funktionierten so, dass Metzger Bauern Geld liehen, womit Letztere Vieh kauften und aufzogen; der Nutzen daraus wurde je nach finanzieller Beteiligung der beiden Parteien untereinander aufgeteilt.

Auf diese Weise sicherten sich die Metzger ihren Bedarf an Vieh. Einen Teil davon schlachteten sie selbst und verkauften das Fleisch vor Ort; mit dem anderen Teil beteiligten sie sich am Export-Viehhandel.

Enge Beziehungen zwischen Stadt und Land

Der Brief dokumentiert am Beispiel der regionalen Nahrungsversorgung die engen Beziehungen in der südöstlichen Bodenseeregion des Spätmittelalters: Man informierte aus Freundschaft – und wohl auch mit Blick auf die nachhaltige Sicherung des Handels – die städtische St. Galler Kundschaft über die Viehseuche auf dem Land.

Die erwähnte Missive Nr. 145 ist abrufbar unter: missiven.stadtarchiv.ch

Wer noch mehr zum Thema erfahren will, findet dazu einen interessanten Beitrag von Stefan Sonderegger namens «Das liebe Vieh. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alpwirtschaft im Alpenrheintal», in: Nicole Stadelmann, Nicole / Sochin D'Elia, Martina / Melichar, Peter (Hgg.): Hüben & Drüben. Grenzüberschreitendes Wirtschaften im mittleren Alpenraum (Schriftenreihe des Arbeitskreises für interregionale Geschichte 5; vorarlberg museum Schriften 48), Innsbruck 2020, S. 51–78.

Sie finden den Beitrag hier: stadtarchiv.ch

Literatur

  • Pfister, Ulrich: Regionale Spezialisierung und Handelsinfrastruktur im Alpenraum, 15.–18. Jahrhundert, in: Pfister, Ulrich (Hg.): Regional development and commercial infrastructure in the Alps. Fiftheenth to eighteenth centuries (Itinera 24), Basel 2002, S. 153–178.
  • Sonderegger, Stefan: Landwirtschaftliche Entwicklung in der spätmittelalterlichen Nordostschweiz. Eine Untersuchung ausgehend von den wirtschaftlichen Aktivitäten des Heiliggeist-Spitals St. Gallen (St. Galler Kultur und Geschichte 22), St. Gallen 1994.
  • Tschanz, Christoph: «... und ob aber dero vÿch och in die bemelt alpelin giengen...». Spätmittelalterliche Weidewirtschaft im Gebiet von Liechtenstein im Wandel, in: Brunhart, Arthur (Hg.): Vaduz und Schellenberg im Mittelalter (Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte. Studien und studentische Forschungsbeiträge 1), Zürich 1999.
Stefan Sonderegger