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Kanton St. Gallen
03.08.2024
02.08.2024 15:17 Uhr

Wie der klösterliche Weinkeller geplündert wurde

Missive vom 1. Dezember 1433
Missive vom 1. Dezember 1433 Bild: Bild: StadtASG, Missive 65
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute: Die Beziehung zwischen der Stadt St.Gallen und dem Kloster.

Am 1. Dezember 1433 beschwert sich Eglolf Blarer, Abt des Benediktinerklosters St.Gallen, bei Bürgermeister und Rat zu St.Gallen, dass etliche St.Galler Bürger nachts ins Kloster eingedrungen seien und seinen Weinkeller geplündert hätten: «nachtz in unsern hof und hus geloffen sind, haben do unsern keller und koch übervallen, haben ouch uns unsern win unerloebt usser unserm kehrn getragen». Der Abt bittet um Aufklärung und Bestrafung der Betroffenen.

Die Plünderung des Weinkellers kann wohl als Handlung gegen die Herrschaftsträger verstanden werden, als eine Art Provokation gegen den Fürstabt von St.Gallen. Wein war nicht nur ein Alltagsgetränk, sondern auch ein Handelsgut, mit dem Einnahmen erzielt wurden. Der Wein ist Symbol der wirtschaftlichen Spezialisierung der Region und auch Streitthema zwischen Stadt und Kloster, die beide darum konkurrenzierten.

Das Kloster war der grösste Grundherr der Region St.Gallen und hatte ein Einflussgebiet vom Toggenburg bis ins Rheintal. Das Rheintal war im 15. Jahrhundert stark spezialisiert im Weinbau und belieferte unter anderem die Stadt, wo die Nachfrage nach Wein stetig stieg. Reiche Stadtsanktgaller Bürger und Bürgerinnen sowie städtische Institutionen kauften im Umland der Stadt Land, das sie verpachteten und dafür Abgaben wie Wein erhielten.

Der grösste Grundbesitzer der Stadt St.Gallen war das Heiliggeistspital, das es seit 1228 gab. Neben der Versorgung der Spitalinsassen und -insassinnen war der Wein auch ein wichtiges Handelsgut für das Spital.

Rechts im Bild die Weinlese und links das Pressen der Trauben mit einem Stössel. Die Radierung stammt von Conrad Meyer (1618-1689) und ist Teil einer Serie von Abbildungen aller zwölf Monate. Unten werden typische Arbeiten beschrieben, die im jeweiligen Monat stattfinden, hier im Oktober steht an: «presset ausz den suessen safft der Trauben». Bild: Graphische Sammlung ETH Zürich, D 48561

Beziehung Kloster und Stadt

Zeitlich befinden wir uns in einer Phase, in der die Stadt immer mehr Freiheiten erhielt und sich mehr und mehr aus der Herrschaft des Klosters löste. Nach einem langen Prozess mit Konflikten kaufte sich die Stadt 1457 los. Der Prozess der vollständigen Trennung verlief bis ins 16. Jahrhundert.

Von 1567 bis 1807 trennte eine Schiedmauer das Kloster von der Stadt. 2010 wurde der alte Verlauf der Mauer an der Zeughausgasse wieder sichtbar gemacht Bild: StadtASG

Die Beziehung des Klosters zur Stadt ist je nach Jahrhundert anders, zwischenzeitlich überwogen die Kooperationen, andermal die Gegensätze. Der Bereich der vier Kreuze begrenzte das herrschaftliche Territorium der Stadt, das nur ungefähr 4 Quadratkilometer umfasste bis zu den Grenzen von St.Fiden, St.Leonhard, Rotmonten und St.Georgen. Ausserhalb davon hatte der Fürstabt hoheitliche Rechte.

Von 1553 bis 1798 gibt es eine wahre Fundgrube für die Beziehung zwischen Stadt und Kloster: In den Protokollen äbtischer Akten notierte die Stadt Konflikte und Diskussionspunkte mit der Fürstabtei.

Im Jahr 1682 lief beispielsweise ein Priester mit erhobener Monstranz durch die Stadt und einige Bürger fielen auf die Knie. Dieses katholische Anbeten in der reformierten Stadt löste Diskussionen aus: Die Stadt reagierte scharf auf solche Vorfälle. Auch suchten immer wieder Delinquente Schutz vor städtischer Bestrafung beim Fürstabt, was Konflikte zwischen Stadt und Kloster provozierte. 1554 entstand ein Streit über den Bau eines Schweinestalls, den der Abt neben der St.Laurenzenkirche bauen wollte.

Über die Beziehung zwischen Kloster und Stadt in der Zeit, bevor diese Protokolle entstanden sind (1553), berichten die Missiven, die in diesem Projekt veröffentlicht werden. Nebst der hier vorgestellten Missive von Eglolf Blarer, der sich wegen der Plünderung des Weinkellers beschwerte, gab es noch fünf weitere Schreiben an den Bürgermeister und Rat St.Gallen, wo er sich beschwerte oder um etwas bittet. Grundsätzlich vierhielt sich Eglolf Blarer als Abt aber freundschaftlich gegenüber der Stadt. Das damals fast ausgestorbene Kloster füllte er mit neuen Mönchen und stellte unter anderem die Klosterschule wieder her.

Die erwähnte Missive Nr. 65 ist abrufbar unter: missiven.stadtarchiv.ch

Wer noch mehr zum Thema erfahren will, findet dazu mehrere Folgen des Podcasts der Stiftsbibliothek St.Gallen vom Januar 2022 und September 2023, Leihgaben aus dem Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen im Gewölbekeller der Stiftsbibliothek, mit Nicole Stadelmann, zusammen mit Silvio Frigg, zu hören unter: stadtarchiv.ch/publikationen

Literatur

  • Bless, Magdalen: Art. «Eglolf Blarer», in Historisches Lexikon der Schweiz, 11.11.2002, unter: hls-dhs-dss.ch/de/articles/012513/2002-11-11
  • Ortsbürgergemeinde St.Gallen (Hg.): Galluskloster und Gallusstadt – nebeneinander und miteinander, St.Gallen 2012. (Artikel als PDF-Dokument: stadtarchiv.ch/forschungsprojekte)
  • Sonderegger, Stefan: Getreide, Fleisch und Geld gegen Wein. Stadt-Umland-Beziehungen im spätmittelalterlichen St.Gallen, in: Konersmann, Frank/Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim (Hg.): Bauern als Händler. Ökonomische Diversifizierung und soziale Differenzierung bäuerlicher Agrarproduzenten (15.–19. Jahrhundert), Stuttgart 2011, S. 17–33. (Artikel als PDF-Dokument: stadtarchiv.ch/inhalt)
  • Sonderegger, Stefan: Wein und Prestige für Städter. Rebbau und repräsentative Landsitze im St.Galler Rheintal, in: Kunst + Architektur in der Schweiz, 2014/3, S. 12–20. (Artikel als PDF-Dokument: stadtarchiv.ch/inhalt)
Noëmi Schöb