Daniela Kressig, Präsidentin des Vereins Gemeindebibliothek Bad Ragaz-Taminatal, freute sich, rund 60 gespannte Zuhörerinnen und Zuhörer begrüssen zu dürfen. Sie waren gekommen, um eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Schweiz zu hören.
Milena Moser, 1963 geboren, hat über zwanzig Bücher, zahlreiche Essays, Artikel, Kolumnen und Hörspiele verfasst. Der Durchbruch gelang ihr 1990 mit «Gebrochene Herzen». Zum absoluten Bestseller wurde «Die Putzfraueninsel», welche 1996 verfilmt wurde. Moser leitet auch Workshops in Kreativem Schreiben. Seit einigen Jahren lebt die gebürtige Zürcherin wieder in San Francisco.
Sofia will nicht fliegen
Mosers aktueller Roman, der vor einem Jahr erschienen ist, trägt den Titel «Der Traum vom Fliegen». Er spielt in Amerika und handelt von Sofia, die von den beiden Vätern wegen ihres Übergewichts in eine Privatklinik eingewiesen wird. Doch sie will nicht abnehmen, weil ihr das Übergewicht Bodenhaftung und Halt verleiht. Denn Sofia hat ein Geheimnis, eine Super-kraft: Sie kann fliegen! Aber weil sie bei ihren «Ausflügen» immer wieder Schlimmes sieht, ohne eingreifen zu können, hat sie Angst davor, abzuheben. In der Klinik trifft sie schliesslich auf Carmel und Zach, die ebenfalls abnormale Superkräfte besitzen. «Der Traum vom Fliegen» ist ein Roman über das Gefühl, ausgeschlossen und nicht «normal» zu sein, über vermeintliche Schwächen, die eigentlich potenzielle Stärken sind, und über die Kraft der Freundschaft.
Hören Sie manchmal Stimmen?
Milena Moser beschränkte sich keineswegs darauf, nur aus dem Buch vorzulesen. Sie gab dem Publikum einen tiefen Einblick in den Schaffensprozess und in die Entstehung Romanfiguren. Die Autorin bezeichnete sich selber als therapieerfahren. Sie erzählte, wie ihr im Rahmen eines Multiple-Choice-Testes die Frage gestellt wurde: «Hören sie manchmal Stimmen, die sonst niemand hört?» Nachdem sie «Ja» angekreuzt hatte, erhielt sie einen besorgten Anruf der Psychologin, welche wahrhaftig fragte: «Ist es der Mossad (der israelische Geheimdienst), den Sie hören?» Moser wehrte lachend ab: «Nein, es sind die Figuren meiner Geschichten, die mit mir reden», worauf die Anruferin beruhigt war. Denn wenn sie schreibt, sind für sie die Romanfiguren so real wie lebende Menschen. Sie treten unverhofft in ihr Leben, gewinnen allmählich Kontur und Persönlichkeit und beginnen zu handeln. So war es auch mit Sofia, der Protagonistin im «Traum vom Fliegen». Sie hatte schon in zwei anderen Büchern eine Nebenrolle gespielt, wo sie noch eine eher zarte Person war. Nun tauchte sie plötzlich wieder auf, sich mit Kopfhörern abkapselnd, übergewichtig, auf dem Sofa sitzend. Während fünf Monaten wartete Moser, bis sie verstand, was in Sofia vorging. Dann begann die Handlung zu fliessen, und innerhalb eines Jahres entstand der Roman.
Die Lesung in Bad Ragaz war übrigens die letzte über den «Traum vom Fliegen», gewissermassen eine Derniere, wie Moser etwas wehmütig erklärte. Gegenwärtig seien zwei weitere Projekte in der Pipeline, verriet die Autorin. Im einen erzählt sie, wie sie zum Schreiben gekommen ist. Dabei kombiniert sie eigene Lebenserinnerungen mit Tipps fürs Schreiben. Das andere Buch wird von den Sechzigerjahren, dem «Summer of Love» handeln.
Das Publikum dankte der Autorin mit einem kräftigen Applaus. Anschliessend bot sich bei einem Apéro die Gelegenheit, mit Milena Moser persönlich ins Gespräch zu kommen und Bücher signieren zu lassen.