Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken
Region
20.01.2025

Sinvolle Art der Landwirtschaft

Regenerative Landwirtschaft hat viele Gemeinsamkeiten mit der  herkömmlichen, aber auch diverse Unterschiede.
Regenerative Landwirtschaft hat viele Gemeinsamkeiten mit der herkömmlichen, aber auch diverse Unterschiede. Bild: LID/jvo
Alle reden von regenerativer Landwirtschaft. Aber jeder versteht darunter etwas anderes.

Regenerative Landwirtschaft ist ein Hype-Begriff wie Nachhaltigkeit oder Biodiversität. Alle reden davon. Aber kaum eine Konsumentin und ein Konsument weiss, was regenerative Landwirtschaft bedeutet. Und selbst für viele Landwirtinnen und Landwirte ist regenerative Landwirtschaft ein Buch mit sieben Siegeln.

Schweiz verliert 13 Fussballfelder Landwirtschaftsboden – pro Tag

Der Boden ist das natürliche Kapital für unsere Landwirtschaft. Vor allem Siedlungen und Strassen zerstören dieses:

Die Schweiz verliert gemäss dem Landwrtschaftlichen Informationsdienst LID jährlich 3’300 Hektaren Landwirtschaftsfläche. Täglich sind dies 9 Hektaren oder 90’000 Quadratmeter (13 Fussballfelder).

Der übrigbleibenden Landwirtschaftsfläche geht es nicht eben besser: Sie wird als Folge von intensiver Landwirtschaft durch Erosion, Bodenverdichtung und Schadstoffbelastungen irreversibel beschädigt.

1 cm Boden braucht 100 Jahre

Ist der Boden einmal weg, dauert es lange, bis dieser Schaden wieder behoben ist. Für die natürliche Entwicklung von 1 Zentimeter funktionsfähigen Boden (ohne regenerative Landwirtschaft) braucht es 100 Jahre.

35-mal mehr Lebensmittel

Ein Bauernhof produziere heute bis 35-Mal mehr Lebensmittel als vor 125 Jahren, so LID. «Die Landwirtschaft musste sich seit dem Jahr 1900 intensivieren, um mit einer starken Produktivitätssteigerung das rasante Bevölkerungswachstum zu kompensieren.»

In konkreten Zahlen: Die Schweiz zählte im Jahr 1900 rund 3,3 Millionen Einwohner, heute 9 Millionen (+173 Prozent).

Ein Bauernhof ernährte im Jahr 1900 höchstens zehn Schweizer. Im Jahr 2025 sind es bis 180 Schweizer, also 18-Mal mehr.

Möglich machten dies die Produktivitätssteigerung, die Mechanisierung der Landwirtschaft, mineralische Kunstdünger (Stickstoffdünger) und Pflanzenschutzmittel sowie Züchtungserfolge.

Heute weiss man: Diese Produktivitätssteigerung hat auch negative Effekte auf die Gesundheit der Nutztiere und Nutzpflanzen, auf die Biodiversität (Artenvielfalt) und – vor allem – auf die Gesundheit des Bodens.

1900 vs. heute

Um zu verstehen, wie die Bodengesundheit wieder «aufgebaut» werden kann, schauen wir zurück auf die traditionelle Landwirtschaft im Jahr 1900:

Die traditionelle Landwirtschaft war auf geschlossene Kreisläufe ausgerichtet: Viehhaltung, Pflanzenbau und Bodenpflege waren eng miteinander verbunden. Nur die eigene Gülle und Mist dienten als Dünger, und nichts wurde verschwendet.

Mit traditionellen Techniken wurde die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Dazu gehören die Fruchtfolge (verschiedene Kulturen nacheinander auf demselben Feld), die Gründüngung (Pflanzenarten wie Klee, Lupinen und Senf werden nicht geerntet, sondern gemulcht oder untergepflügt) und das Einbringen organischer Materialien in den Boden.

Die Bauern bauten Mischkulturen an, also mehrere Kulturen gleichzeitig auf demselben Feld, und generell eine grosse Vielfalt an Nutzpflanzen. Sie berücksichtigten die lokalen Bodentypen, das Klima und die Ökosysteme und nutzten alle Ressourcen sparsam.

Zurück zu den Anfängen – kombiniert mit modernen Technologien

Die regenerative Landwirtschaft nutzt diese traditionellen landwirtschaftlichen Praktiken wieder und kombiniert sie pragmatisch mit moderner Wissenschaft und Technologien.

Sie integriert dabei Ideen aus konventioneller Landwirtschaft, Bio-Landwirtschaft, Permakultur, Agrarökologie, Agroforstwirtschaft und Renaturierungsökologie.

Nach 125 Jahren Intensivierung der Landwirtschaft genügt es nicht mehr, den verbliebenen Boden bloss zu erhalten. Er muss wieder aufgebaut werden. Mit der regenerativen Landwirtschaft soll der Boden wieder die Struktur, Gesundheit und Fruchtbarkeit erhalten wie im Jahr 1900.

Die regenerative Landwirtschaft reichert den Boden wieder mit Humus an (fein zersetzte organische Substanz). Weil gesunder Boden das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid CO2 speichert, werde damit auch der Klimawandel abgeschwächt.

«Die Schweizer Landwirtschaft hinkt hinterher, weil sie extrem träge ist. Der Staat mischt sich viel zu sehr in den Alltag der Bauern ein . »
Martin Jucker, Landwirt aus Seegräben

Anteil noch verschwindend klein

In den 1980er-Jahren prägte der US-amerikanische Agrar-Pionier Robert Rodale den Begriff regenerative Landwirtschaft. «Regenerative agriculture» war seine Antwort auf die schädlichen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft.

Ab 2010 stellten die ersten Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf regenerative Landwirtschaft um. Aktuelle Daten über den Anteil der regenerativen Landwirtschaft an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in unseren Nachbarländern gibt es laut LID nicht.

Gemäss Schätzungen von Branchenkennern sind es in Deutschland 50’000 Hektar, in Italien 5000 Hektar, in Österreich 2400 Hektar und in der Schweiz 2000 Hektar.

«Einerseits hinkt die Schweizer Landwirtschaft hinterher, weil sie extrem träge ist. Der Grund dafür ist, dass sich der Staat viel zu stark in den Alltag der Bauern einmischt. Das hemmt jegliche Dynamik», erklärt Martin Jucker diesen Rückstand. Die Jucker Farm in Seegräben ist mit über 100 Hektar einer der grössten Schweizer Landwirtschaftsbetriebe, die regenerative Landwirtschaft betreiben.

«Anderseits ist die Schweizer Landwirtschaft nie so destruktiv mit ihren Böden umgegangen, wie zum Beispiel die Agrarkonzern-Farmer in den USA.» Deshalb sei der Leidensdruck hierzulande noch weniger gross. «Die mit regenerativer Landwirtschaft bewirtschafteten Flächen werden in den kommenden Jahren aber weiter zunehmen», ist Jucker überzeugt.

Mit der regenerativen Landwirtschaft reichern Landwirte den Boden mit Humus an, also mit der fein zersetzten organischen Substanz eines Bodens. Bild: LID/jvo

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Welche Gemeinsamkeiten hat die regenerative Landwirtschaft mit den bekannten landwirtschaftlichen Praktiken? Und welche Unterschiede trennen die regenerative Landwirtschaft von IP-Suisse (integrierter Produktion), Bio Suisse und Demeter?

Während es diverse Parallelen und identische Grundwerte gibt wie z. B. Böden und Ökosysteme zu schützen und weitgehend bis vollständig auf den Einsatz von synthetischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln zu verzichten, gibt es aber auch klare Unterschiede.

Die regenerative Landwirtschaft at kein festes Regelwerk und keine einheitliche Zertifizierung. Die Methoden können flexibel angepasst werden und variieren stark zwischen den Betrieben. Es gibt keine einheitliche Philosophie oder Ideologie.

Die regenerative Landwirtschaft fokussiert auf Bodenaufbau und Klimaschutz durch Humusbildung.

IP-Suisse ist ein nachhaltiger Ansatz, der ökologische und ökonomische Ziele miteinander verbindet. Sie basiert auf klar definierten Richtlinien. Im Unterschied zu Bio Suisse- oder Demeter-Standards erlaubt IP-Suisse gezielte Eingriffe, um wirtschaftliche Rentabilität und Nachhaltigkeit gleichermassen sicherzustellen.

Bio Suisse basiert auf rechtsverbindlichen vereinseigenen Regeln. Der Fokus liegt auf nachhaltigen, umweltfreundlichen Standards für Produktion und Verarbeitung.

Demeter hat noch strengere Vorgaben als Bio Suisse, zum Beispiel die Pflicht zur biodynamischen Präparatverwendung und zum geschlossenen Hofkreislauf. Demeter ist tief in der anthroposophischen Philosophie von Rudolf Steiner verwurzelt. Demeter integriert spirituelle und kosmische Elemente wie den Einsatz von biodynamischen Präparaten.

LID, Portal24