Lebenswerte Stadt
Die Kommentare auf Social Media zu diesem Vorhaben waren vielfältig und zum Teil widersprüchlich. Eines aber ist der Community gemein: Trotz offensichtlicher Makel lieben die St.Galler ihre Stadt, sie leben gerne hier. Das ist, um es in der Sprache eines Wirtschaftsmagazins auszudrücken, ein Asset.
In der Sprache der Doyenne der Ostschweizer Kommunikationsbranche, Ursula Trunz, klingt das so: «St.Gallen ist Spitze, weil du hier alles bekommst, was du zum Leben brauchst, auch hochstehende Kultur und Bildung. Und dennoch bewegst du dich in einem Dorf: Bei jedem Gang durch die Stadt begegnest du jemandem und wechselst ein paar Worte. Heimat eben, auch wenn sie sich manchmal abweisend gebärdet und sie es mir nicht immer leicht macht, sie zu lieben.»
Das klingt nicht nur ein bisschen nach Literatur – Ursula Trunz ist neuerdings auch Belletristik-Autorin, im September erscheint ihr Buch «Kleines Lied der Freiheit». In einem Zürcher Verlag.
Für Michael Urech, Mitarbeiter der Dienststelle Finanzen der Stadt St.Gallen und Vize-Gemeindepräsident von Münsterlingen, ist St.Gallen immer noch «die Stadt im grünen Ring», wie er schreibt: «In 10 bis 15 Minuten ist man zu Fuss im Grünen, auf den Hügeln.» Der Dean der School of Management an der Fachhochschule OST, Thomas Metzger, fasste es in einem Wort zusammen: «Lebensqualität».
Die Angst vor grossen Würfen
Einer, der diese Stadt ganz sicher auch liebt, ist Konrad Hummler; ein Unternehmer, der immer wieder etwas anreisst (und durchzieht), aber seine Heimatstadt auch kritisiert. Das tat er unlängst in einem vieldiskutierten Artikel in der NZZ in einem «Krisengespräch» mit Redaktor Andri Rostetter, der seinerseits die Ostschweiz ohne Navi findet.
St.Gallens Probleme hätten mit der Stadtgründung begonnen, hiess es schon süffisant im Titel, um den Ur-Sankt-Galler Hummler dann mit Widrigkeiten aus der Gegenwart zu konfrontieren: Der internationale Reitsportverband streicht den St.Galler CSIO aus dem Programm und nimmt ihm den Nationenpreis. Die Universität Zürich will den Joint Medical Master mit der HSG nicht weiterführen.
Der Olma fehlten Millionen, die Stadt selbst macht auch ein Defizit. Vor allem aber: Von den zehn grössten Schweizer Städten hat St.Gallen die tiefsten Mieten – was bedeute, dass niemand hier hinwolle; die Stadt sei zu wenig dynamisch, die Steuern zu hoch, Zürich zu weit weg.
Konrad Hummler seinerseits ergänzt die Liste mit Projekten, die teilweise seit Jahrzehnten blockiert sind, etwa die Sanierung des Kunstmuseums oder des Marktplatzes, aber auch der Neubau des HSG-Campus am Platztor. «Die Stadt leidet unter Selbstzufriedenheit, Risikoaversion und Provinzialität», wird Konrad Hummler in der NZZ zitiert. «Man hat Angst vor den grossen Würfen. Man stellt die grossen strategischen Fragen nicht.»