Verena Steiner, haben Sie dieses Buch geschrieben, weil Sie selbst ein solches Buch hätten brauchen können?
Es lief andersherum: Die Idee mit dem Buch kam erst im Nachhinein. Zwei Jahre nach dem Tod meines Mannes begann ich in eigener Sache zu recherchieren; ich wollte herausfinden, ob und wie ich auch als Solistin entspannt und glücklich werden kann. Es ging mir damals nicht so gut, und ich musste einen Weg aus meiner Leere finden. Dazu tauchte ich tief in die Forschungsliteratur ein; ich sprach oft mit anderen Betroffenen und experimentierte, übte und reflektierte. Bald einmal realisierte ich, wie es mir besser und besser ging. Nach zwei intensiven Jahren kam dann die Idee mit dem Buch. Doch zunächst wollte ich die gewonnenen Erkenntnisse mit anderen Betroffenen teilen, in meinem «Solo, stark und lebensfroh»-Kurs an der Volkshochschule Zürich.
Ihr Buch SOLO trägt den Untertitel ‹Alleinsein als Chance›. Wie wurde Ihnen bewusst, welche Ressourcen im Alleinsein liegen?
Das Sololeben war für mich zunächst – wie für viele Menschen – eine Herausforderung. Das emotionale Bödeli war weg, ich war auf mich allein gestellt und musste das Alleinsein ganz neu lernen. Zu Beginn sah ich es überhaupt nicht als Chance – im Gegenteil: Ich war mutlos und spürte eine Tendenz zum Rückzug. Dem wollte ich entgegenwirken. Neben der Recherche begann ich, Dinge, die mein Mann und ich in der Freizeit unternommen hatten, auch allein zu probieren.
Warum nicht zusammen mit Freunden?
Natürlich unternehme ich gerne Dinge mit anderen, aber in meinem Umfeld gibt es zu wenig Menschen, die für grosse Bergwanderungen und Velotouren zu haben sind. Doch es brauchte Mut, allein unterwegs zu sein. Ich spürte jedoch von Mal zu Mal, wie ich an neuer Energie gewann und wie ich mutiger und stärker wurde. Es fiel mir unterwegs auch immer leichter, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Aber auch dazu musste ich mich zunächst überwinden und es systematisch üben.
Man kennt Sie als Bestsellerautorin der Bücher «Exploratives Lernen» und «Lernpower». Inwiefern hat Ihnen dieser Hintergrund geholfen, dieses Buch zu schreiben?
Für mich ist das neue Buch eine logische Fortsetzung, denn in allen meinen Büchern geht es darum, sich den Herausforderungen einer Situation zu stellen, dazuzulernen und sich weiterzuentwickeln. Das, was in einem steckt – das eigene Potenzial –, zu entfalten.
Das Wie, mein Ansatz, ist das explorative Lernen, und das zieht sich durch alle meine Werke, ob explizit erwähnt oder nicht. Explorieren heisst erforschen, auskundschaften und experimentieren: Explorative Lernerinnen und Lerner sind neugierig und lieben es, in eigener Regie zu spielen und die Dinge auszuprobieren – egal, ob es um Lernstrategien, um die Entwicklung von mehr Mut, um eine Entspannungspraktik oder um die eigenen Kochkünste geht. Sie betrachten ihr Tun als Experiment und lieben es, kreativ zu sein und Lösungen zu finden. So entwickeln sie sich ständig weiter.
Und was bringt diese Selbstoptimierung?
Diesen Begriff mag ich nicht, denn er bezieht sich allzu oft auf Äusserlichkeiten. Ich spreche lieber von einem persönlichen Entwicklungsprozess. Damit meine ich den Auf- und Ausbau von inneren Qualitäten, von Kompetenzen und Charakterstärken. Gemeint sind Ressourcen, die auch in schwierigeren Lebenssituationen zum Tragen kommen. Was gibt es in solchen Situationen Tröstlicheres, als einen Fortschritt zu erkennen – selbst wenn er winzig ist? Etwas aus eigener Kraft zu bewirken? Oder die Begeisterung und den freudigen Stolz zu spüren, wenn etwas gelingt? Es ist mit dieser Selbstwirksamkeit wie beim Baby mit den ersten freien Schritten: ein überwältigendes Gefühl von Freiheit und Erleichterung und eine Riesenfreude am Tun und an sich selbst.
Aber längst nicht alle Menschen haben die Kraft, solche Kompetenzen aufzubauen.
Natürlich nicht, es wäre vermessen, zu meinen, man könnte allen helfen. Meine Bücher schreibe ich für meine Leserinnen und Leser. Das heisst, für Individuen, die sich aus eigenem Interesse mit dem Thema befassen und etwas zum Guten hin verändern wollen.
SOLO ist vielleicht Ihr persönlichstes Buch, Sie binden aber nicht nur Ihre eigenen Erfahrungen ein, sondern auch die von anderen Menschen. War Ihnen das wichtig?
Das ist mir – neben den Befunden aus der Wissenschaft – enorm wichtig, denn jeder und jede empfindet die Situation des Alleinseins wieder anders. Was für die einen eine Erleichterung ist, ist für andere eine gewaltige Herausforderung. Was die einen motiviert, macht anderen eher Angst, und was die einen an Effort übertrieben finden, möchten andere stärker hervorgehoben haben. Umso wichtiger ist es mir, dass die Leserinnen und Leser diejenigen Dinge im Buch für sich herauspicken, die sie für sich gebrauchen können. Und auch, dass sie sich bei grösseren Schwierigkeiten an Fachleute wenden. Denn mein Buch ist als Werkzeugkiste für den normalen Alltag gedacht.
Was können Menschen aus dem Alleinsein lernen? Und hilft ihnen das vielleicht auch, ganz generell bessere Beziehungen, sei es in einer Partnerschaft, Freundschaft oder zu sich selbst, zu führen?
Es geht zunächst einmal darum, sich mit dem Alleinsein anzufreunden und liebevoller, aber auch konsequenter mit sich selbst umzugehen. Zum Beispiel etwas Aufbauendes zu tun oder aus dem Haus und unter die Menschen zu gehen, statt in schlechte Stimmung und Lethargie zu versinken. Dazu ist es auch wichtig, sich nach aussen weiter zu öffnen und zu lernen, besser auf andere, auch fremde Menschen zuzugehen. Im Grunde genommen geht es stets um das Schaffen von mehr Verbundenheit – sei es mit sich selbst und mit dem eigenen Tun, sei es mit anderen Menschen, mit Natur und Kultur.
Wenn wir die Phase des Alleinseins nutzen, um ganz bewusst etwas Gutes aus der Situation zu machen, können wir auf eine völlig neue Stufe der Autonomie, aber auch der Verbundenheit und Menschlichkeit sowie der Lebensfreude kommen. Wir sind mutiger und besser gewappnet für alles, das noch kommen mag.
Kann das Buch SOLO auch Menschen helfen, die in einer Partnerschaft sind oder immer wieder in einer neuen Partnerschaft sind und nie gelernt haben, allein zu sein?
Nicht alle Menschen sind Selbstentwickler, doch wer mein Buch aus eigenem Interesse liest und wirklich etwas verändern will – das heisst, wer emotional ein Stück weit unabhängiger und innerlich stärker werden will –, wird fündig werden.
Wir lernen aber nur dann etwas dazu, wenn wir uns ein kleines Stück weit aus der Komfortzone hinauswagen, wenn wir ein Unbehagen spüren oder wenn etwas anstrengend ist. Genau dann lernen wir auch uns selbst und unsere eigenen Stärken und Schwächen besser kennen. Darauf können wir aufbauen.
Was möchten Sie, dass die Leserinnen und Leser gelernt haben, nachdem sie SOLO gelesen haben?
Natürlich möchte ich die Leserinnen und Leser inspirieren und ihnen frische Ideen oder gar eine neue Perspektive geben. Doch durch die Lektüre allein lernt man noch nicht allzu viel – der Knackpunkt ist die Umsetzung. Das Buch soll wie ein Baugerüst sein, das den Leserinnen und Lesern leichteren Zugang zu denjenigen Stellen verschafft, an denen sie arbeiten wollen. Es kann auch wie eine Roadmap gelesen werden, die den individuellen Weg aufzeigt und die sie immer wieder mal zur Hand nehmen, um sich erneut zu orientieren.